Dienstag, 6. November 2012

Fischschuppenshampoo









Eine Frau in der Warteschlange zur Fähre gestern, die mit dem Mann, mit dem sie unterwegs war, so redete, als wäre er auch eine Frau. So unbefangen, locker, so ohne sich drum zu scheren, ob ihn das interessierte, was sie zu erzählen hatte. Sie erzählte von ihrem Haarshampoo, dass es aus Fischschuppen gemacht sei, redete dann davon, dass man irgendwo (ich weiß jetzt nicht wo) entdeckt hat, dass die Männer, die den ganzen Tag lang Fische schuppten, keine rauen Hände hatten, so wie es man vielleicht hätte erwarten hätte können, sondern ganz weiche Haut. Der Grund dafür: die pflegende Substanz, die in den Fischschuppen ist. Der Mann hörte ihr zu, warf Fragen ein, z.B. "Riecht das Shampoo nach Hering?", machte aber die ganze Zeit einen interessierten Eindruck, auch als sie später dann erzählte, dass sie, anstatt so einen "ekligen Haarbalsam" zu verwenden, ihr Haar nach dem Waschen mit kaltem Wasser spüle; es würde nämlich davon ganz weich und kämmbar (Ich musste das heute gleich ausprobieren, konnte aber nicht richtig aufs Balsam verzichten). Beide Gesprächspartner waren etwas über sechzig. Sie schienen kein "altes Paar" zu sein (sonst hätte er ja sicher schon vom Shampoo gewusst und von all ihren Haargewohnheiten). Sie trug eine ziemlich abgeschabte und ausgewaschene und an den Taschen und Ärmeln ausgefranste Jacke, die irgendwie formlos an ihr herunterhing, und abgetretene Turnschuhe zu recht verbeulten Jeans. Ihr Haar war grau und ging ihr bis zur Schulter. Offensichtlich hatte sie nicht viel Zeit auf eine "Frisur" verwendet, ließ das Haar einfach fallen, wie es wollte, ein wenig chaotisch. Eine Haarspange hing am Hinterkopf lose im Haar und hatte gar keine Funktion. Sie erzählte ihrem Begleiter auch, dass sie ihr Haar selber schneide, nachdem eine Friseuse ihr - "freundlicherweise" - einmal erklärt hatte, wo ihre Wirbel säßen. Sie sah insgesamt nicht aus wie jemand, der viel Geld hat, aber auch nicht wie jemand, dem das viel ausmacht. Ihre Brille war bestimmt schon älter, ein silbernes Gestell, mit großen Gläsern. Er war auch salopp gekleidet, aber irgendwie properer, mit schwarzer Jeans, schwarzer Jacke, sorgfältig geschnittenem Haar und Bart und einem über die Schulter geworfenen Rucksack. Was für eine Geschichte verbarg sich hinter dieser unkomplizierten kleinen Szene? Wieso sucht unser Hirn immer nach der Geschichte, nach den Fäden dahinter, nach irgendwelchen größeren und begreiflichen Zusammenhängen?

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