Sonntag, 11. Dezember 2011

(ausgegraben I:) Die Freundin

Ich schlief unruhig. Es lag an der harten Matratze, und an der dicken Decke, unter der ich schwitzte. Ich träumte, dass sie sagte, ich würde mich immer nur mit toten Männern und deren Leben beschäftigen. Es war so echt, dass ich noch am Tag dachte, sie hätte es wirklich gesagt! Ich träumte auch, dass sie nach dem Aufwachen etwas zu mir sagte, mit gerunzelter Stirn. Dabei lag sie mit geschlossenen Augen neben mir, das Gesicht ruhig und glatt.

Als ich im Halbdunkel aufwachte und den Körper neben mir wahrnahm, wollte ich schon die Hand ausstrecken, um sanft ihr Gesicht zu berühren. Rechtzeitig fiel mir ein, dass wir uns seit Jahren nur noch schwesterlich berührt hatten. Meine Güte, schwesterlich! Zur Begrüssung küssten wir uns auf den Mund oder knapp daneben, und manchmal, wenn sie nicht hersah, wischte ich mir die Lippenstiftspuren weg.

Ich war immer froh, sie zu sehen, mit ihr zum Beispiel in den Doppeldeckerbus zu steigen, sofort auf die obere Plattform zu stürmen und, wenn der Platz frei war, ganz nach vorne zu gehen, wo wir unsere Füsse auf den kleinen Vorsprung vor dem Fenster stellten. Dann war es gut, in Berlin zu leben, dann sprachen wir einmal nicht vom Weggehen.

Sie sagte: Wenn ich das richtig sehe, dann wohne ich in zwanzig Jahren immer noch in meiner Butze und bin dann schon fünf Jahre älter als die Frau, die über mir wohnt und die ich vor fünf Jahren, als ich hier einzog, bemitleidete, weil sie in dieser Einzimmerwohnung hängengeblieben war.

Wir setzten uns in ein Café und aßen Sahnetorte, lasen uns aus den Zeitschriften vor, die dort herumlagen, bis es draußen dunkel war. Wir lagen auch gern nebeneinander auf ihrem oder meinem breiten Bett und erzählten einander Dinge aus unserem Leben. Manchmal legte sie den Kopf auf meinen Schoss, aber eigentlich selten. Wir sprachen meistens über wechselnde Liebschaften, von denen es im Lauf der Jahre erstaunlich viele gab. Wir waren immer ein wenig eifersüchtig auf die Geliebten der anderen, hatten uns aber schon an dieses Gefühl gewöhnt.

Eines Tages, sagte sie, du wirst sehen, werden wir noch zusammen fortgehen. Ja, bloss wohin, sagte ich. Sie sagte, komm du erst einmal zurück.

An diesem Morgen brachte sie mir  mir Kaffee mit heisser Milch ans Bett, in einer blauen Schale. Ich trank, während ich auf dem Bauch lag und verschluckte mich fast. Ich weiss nicht, ob mir schon einmal jemand Kaffee ans Bett gebracht hat, sagte ich, ich bin das gar nicht gewöhnt, beinah hätte ich ihn jetzt verschüttet.

Es war viertel nach sieben, als wir uns vor dem Haus verabschiedeten. Sie drückte mir einen feuchten Kuss auf die Lippen. Ich stieg aufs Fahrrad und fuhr nach Hause, um meine Kisten zu packen.

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