Dienstag, 13. September 2016

Warten auf den Bus

Wieder einmal auf dem Weg nach Kastrup. Ich warte in der Hitze an der Bushaltestelle Södervärn. 

Auf dem Boden verstreute Zigarettenkippen und anderer nachlässig hingeworfener Alltagsmüll, wie platt getretene Kaffeebecher, Eispapier, Werbezettel, Gummihandschuhe und was noch alles.

Ein paar Schritte von mir entfernt steht eine blasse Frau mit schwarzen Thermohosen und einer alten Sportjacke, die einen ca zehn Zentimeter langen Riss über dem Schulterblatt hat. Heute ist es so heiß, dass man garantiert weder eine Thermohose noch eine Jacke braucht. Die meisten Leute haben so wenig Kleider wie nur möglich am Körper.

Je länger ich die Frau anschaue, desto mehr verstärkt sich der Eindruck der Verwahrlosung. Der Haarschnitt ist herausgewachsen, die lila Socken in den Sandalen sind abgeschabt, und der Rucksack ist ein billiges Werbegeschenk. An ihrem linken Arm hat sie eine gelbe Plastiktüte hängen, in den Händen hält sie eine Zehnerkarte für den Bus nach Kopenhagen, die sie hin- und her biegt, um die Perforierung zu lockern, so dass sie sich später leichter abreißen lässt.

Busse fahren heran, in einem nicht abreißenden Strom, Türen öffnen sich, Leute steigen aus, andere ein. Die meisten sind auf dem Weg zur Arbeit. Man sieht es an der Kleidung und an etwas in ihrem Blick.

Ein junger Mann mit einem gestreiften Sakko und einem blauen Melodica-Koffer mit der Aufschrift "Hohner" fällt mir auf. Ich wette mit mir, dass er in den Bus Nummer 8 einsteigen wird, der zur Musikhochschule fährt, und nach wenigen Minuten habe ich meine Wette gewonnen.

Der andere Reisende, der mit mir hier auf den Bus nach Kopenhagen wartet, ist ein älterer Mann mit geröteter Glatze und einer schlecht sitzenden Ray Ban Sonnenbrille. Auch er hält eine Zehnerkarte in den Händen, sechs Abschnitte sind schon abgerissen, auch er biegt die Karte an der Perforierung hin und her, um dem Busfahrer das Abreißen zu erleichtern.

Er hat ein schwarzes T-Shirt an, mit der Aufschrift "Africa" auf dem Ärmel und Cape North (?) auf der Vorderseite, genau da, wo die Wölbung seines Bauchs am größten ist, so dass ich die Aufschrift nicht lesen kann, ohne auf seinen Bauch zu starren. 

Ich kann sehen, dass er schwitzt, trotz seiner leichten Shorts aus grauem T-Shirt-Stoff, die eng anliegen und deren Seitennaht an einer Stelle von einer Sicherheitsnadel zusammengehalten wird.

Ist dieser Bus oft so verspätet?, frage ich ihn. 

Nein, eigentlich nicht, antwortet er. Er redet in dem Dialekt der Stadt, der klingt, als wären die Worte schon vorgekaut, wenn sie endlich den Mund des Sprechenden verlassen. 

Vergessen Sie nicht, dem Busfahrer zu sagen, dass Sie am Flughafen aussteigen wollen, sagt er. Sonst fährt er vorbei. 

Die Fahrt dauert etwa eine halbe Stunde, während der ich einen großen Teil dieses Textes in mein Tablet tippe.

Als ich in Kastrup aussteigen, gehe ich zuerst an der Frau mit der Thermohose vorbei, die jetzt in einem Taschenbuch liest, dessen Titel ich nicht sehen kann.

Der Mann mit der Glatze nickt mir von seinem Sitz aus zu, und ich nicke zurück. 

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