Samstag, 7. November 2015

Eigentlich denke ich fast ständig an die Stadt


Am Abend noch mal den Schmerz des Tages Revue passieren lassen:

Ich weiß nicht mehr, wo ich anfangen soll: Bei der Fahrt mit dem Fahrrad durch die regendunkle Stadt? Bei den Ochsenmedaillons, die ich im Fleischwolf in Hackfleisch verwandelte, dem Fleischsaft, dem Blutsaft, dem grauen ausgespuckten Fleisch in der Katzenschale? Bei dem Konzertsaal, in dem die Farbe der Wände sich änderte, von rot zu blau zu grün zu einer Art Schneegestöber aus schwarz und weiß? Bei den hochhackigen schwarzen Stiefeln der Akkordeonistin, die von ihrer karelischen Großmutter erzählte, bei der Falte zwischen ihren Augenbrauen, bei meiner plötzlichen, mir beinah den Atem nehmenden Sehnsucht nach Finnland? Bei den drei jungen Schwedinnen in ihren bunten Sackkleidern, die ein chinesisches Lied spielten, das vom Sommer handelte? Die eine nahm aus einer Plastikflasche einen Schluck Mineralwasser, legte den Kopf in den Nacken und gurgelte ins Mikrofon, was im Loop klang wie ein sprudelnder Gebirgsbach.

"Wie heißt du?", fragte ich. Ich war von hinten an ihn herangetreten und hatte ihm beide Hände auf die Schultern gelegt.
"Anton."
Beim Lächeln zeigte sich eine kleine Lücke zwischen seinen Schneidezähnen.

Es stürmte beinahe, als ich wieder nach Hause fuhr. Eigentlich denke ich fast ständig an die Stadt.


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