Sonntag, 24. Januar 2016

Als wir noch rauchten

Als wir noch rauchten, selbst gedreht natürlich, nicht, weil es billiger gewesen wäre, sondern weil es unser Einstellung zum Leben entsprach: der Tabakbeutel auf dem Tisch, das Zigarettenpapier, bloß keine Filter. Der ungefilterte, scharfe Rauch - unser Credo, unsere tägliche Widerstandshandlung.

Als wir noch spät aufstanden, endlos frühstückten, unsere Zigarettenstummel in leer gelöffelten Eierschalen ausdrückten. Das Ritual: den Tabak auf dem Zigarettenpapier verteilen, den Klebestreifen ablecken, die Zigarette geschickt zusammendrehen, die Tabakkrümel von der Zungenspitze und den Lippen spucken.

Als es uns noch jede Nacht hinaustrieb, in die verrauchten Kneipen, in denen es keinen Sitzplatz mehr gab. Als wir mit schmerzenden Lungen aufwachten, mit einem Haufen nach Rauch stinkender Kleider auf dem Fußboden, gequält vom Tageslicht, vom Morgenhusten. (Ein kurzer Augenblick des Zweifels, des Selbstekels, der Reue, bevor man sich wieder eine Zigarette ansteckte)

Das Rauchen war eine symbolische Handlung, es signalisierte die Abwehrhaltung gebenüber allem, was die Welt für uns bereithielt. Wir rauchten gegen die Betonisierung, gegen jeden Leistungsanspruch, jegliche Tauglichkeit. Wir rauchten gegen Tatsache, dass wir sterblich waren, dass wir altern würden, dass wir nicht ewig bis in den späten Vormittag hinein schlafen könnten, dass wir irgendwann einmal uns der "Wirklichkeit" würden stellen müssen.

Wir rauchten so, wie wir es in französischen Filmen gesehen hatten. Lebensverachtend und lebenshungrig zugleich. Selbstverliebt und ständig uns selber analysierend.

Die Wohnungen waren improvisiert, vorläufig, wir legten Matratzen auf den nackten Boden, stapelten unsere Bücher in Obstkisten, machten einen Küchentisch aus Böcken und einer ausrangierten Tür, schleppten Schränke die Treppe hoch, die wir auf dem Sperrmüll gefunden hatten, oder bauten unsere Möbel selbst (auch das nicht aus einer Heimwerker-Mentalität heraus, sondern als Zeichen der Verweigerung).

Wir saßen in Kneipen, die Tabakbeutel auf dem dunkelbraun lackierten Tisch, wir aßen kurz vor Mitternacht Berge von Spaghetti und dachten, wir könnten verhindern, dass wir irgendwann einmal zu der Welt gehören würden, die wir verachteten, die wir fürchteten, die uns bedrohte, die uns das wegnehmen wollte, was uns am Leben hielt: der trotzige Widerstand, der Tabakdunst, die Gedichte und die Musik und die Illusion, dieser Zustand könne ewig dauern. Bloß wie? Indem wir rauchten.

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