Samstag, 25. Juni 2011

Ich erinnere mich, bloß warum ausgerechnet daran

outi heiskanen: on the ferry, 1976
Ich erinnere mich an die Fähre, meinen Strohhut, der davonsegelte. Ich erinnere mich an den Schnee, an einen Akkordeonspieler vor dem Eingang der U-Bahn, ich erinnere mich, dass ich rannte. Ich erinnere mich, dass mein Gesichtsausdruck auf den Fotos, die aus dem Schlitz des Fotoautoaten kamen, mich erschreckte. Ich erinnere mich an lange Schlangen auf dem Postamt, an mein apathisches Warten. Ich erinnere mich an den Vormittag, an dem ich durch das Schneetreiben lief, treppauf, treppab. Ich kaufte mir eine kratzige, handgestrickte Wollmütze. Ich erinnere mich, dass ich sehr viel weinte. Ich erinnere mich an das Eichhörnchen vor dem Fenster, grau, an die Männer, die an einem Frühlingstag einen Baum fällten. Ich erinnere mich an meinen Versuch, all dem einen Sinn zu geben, an den Balkon, auf dem ich stand und rauchte. An einem sonnigen Wintertag, an einem verregneten Herbsttag, an einem kühlen Frühlingstag. Der Vorortszug, in dem die Menschen sich drängten. Ich erinnere mich an das Mädchen, das sich, eingeklemmt zwischen den anderen Passagieren, versuchte zu schminken. Ich erinnere mich an die Lautsprecherdurchsage, die uns vor dem Glatteis auf dem Gleis zu warnen versuchte. Ich erinnere mich an Cafés, in denen die Zimtschnecken so groß waren, dass sie über den Tellerrand hingen. Ich erinnere mich daran, wie wir eingehüllt in Decken auf der Veranda eines Cafés in der ersten Frühlingssonne saßen und in hohen Teegläser rührten. Ich erinnere mich an Stühle, die in Bäumen hingen, an ein riesiges Nest aus Zweigen, in das ich mich hineinlegen konnte, zusammengerollt wie eine Katze. Ich erinnere mich an Spaziergänge auf dem Eis, an Ausflüge mit den Skiern noch im April, an die lange Kette von Menschen, die ständig über das Meer lief. Ich erinnere mich an das Zimmer, so klein, dass ich das Geschirr in dem kleinen Waschbecken auf der Toilette spülte und dann auf dem Klodeckel zum Trocknen ablegte. Ich erinnere mich an Geräusche aus der Nachbarwohnung, zwei Liebende, deren Liebeslaute bis lang in den Vormittag hinein in meine Wohnung drangen und in alles, was ich zu schreiben versuchte.

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