Mittwoch, 8. November 2017

Kurz notiert



Im arabischen Restaurang sitzt sie an einem kleinen Tisch und trinkt ein Glas süßen Tee, während das Essen in der Küche und hinter der Theke zubereitet wird. Neben ihr spricht ein Mann auf arabisch in sein Handy. Vor ihm steht auch ein Glas mit Tee. Er lächelt ihr zu.

Sie fühlt sich wohl hier, würde gerne länger hier sitzen bleiben, Tee trinken, in dieser Stille, dieser Konzentration. Drei Personen arbeiten jetzt für sie. Es ist Ernst in den Bewegungen, eine Würde, etwas Aufrechtes. Es fällt ihr auf, dass keiner hier spricht, oder wenn, dann mit leiser Stimme. Einer schichtet Styroporbehälter in eine Plastiktüte, legt eine Tüte mit Fladenbroten daneben.

Man lässt sie in Ruhe ihren Tee austrinken, dann kommt der Jüngste von ihnen, der eine schwarze Jeans und ein weißes Hemd trägt, und deutet auf die Tüten.

Ist das mein Essen, fragt sie und lacht, und er lacht auch und nickt.

Aufs Fahrrad steigen. Die Plastiktüten an den Lenker hängen. Der kurze Augenblick der Ausgelassenheit. Das Leben ist einen Moment lang gut. Mehr erwartet sie nicht.

***

Der junge Physiotherapeut drückt einen Ball in seine verkrümmten Hände. Er macht eine Grimasse, zeigt die Zähne, fällt mit einem Plumps zurück auf die Behandlungsliege. Der Physiotherapeut feuert ihn an. Du bist jetzt fünf Meter gegangen, ohne Gleitstrumpf, und obwohl du dich in einer Stress-Situation befindest. Das ist nicht übel, darauf kannst du schon stolz sein. Er malt ihm aus, dass er in der Wohnung kleine Strecken hinter sich legen kann. Zu welchem Zweck, denkt sie. Er kann nichts in die Hand nehmen, sich die Hose nicht selber aufknöpfen oder gar hinunterziehen. Er kann keine Karotte schneiden, kein Brot schmieren, keine Tasse Tee einschenken, keinen Teller in die Geschirrspülmaschine stellen.

Der Raum ist fensterlos, aber hell erleuchtet. Überall stehen oder sitzen Menschen an Geräten und machen ihre Übungen. Manchen ist nichts anzumerken, wenn sie durch den Raum gehen, andere bewegen sich schlurfend, langsam, unsicher. Ein junger Mann in einer engen Jeans macht Übungen, die seine Knie stärken sollen. Er lässt das eine Bein nach vorne gleiten, auf einer Gleitplatte. Dann lässt er es zur Seite gleiten. Der Physiotherapeut steht daneben und schaut ihm mit ernsten Augen zu.

Er ist der Einzige mit einem Rollstuhl. Neugierige und mitfühlende und einschätzende Blicke folgen ihm, als er mühsam Schritt um Schritt macht, das hilflose Bein nachziehend.

***

Sie nimmt die Thermohose vom Haken. Den Reißverschluss der Hosenbeine bis zur Hälfte öffnen. Irgendjemand muss diese Arbeit machen, warum also nicht ich. Die Hosenbeine über die hilflosen Beine ziehen. Den Fuß anheben. Diese Nähe, ohne Intimität, ohne Gefühl. Ich kenne seinen Geruch, das Gefühl seiner Haut unter meinen Händen, ich kenne ihn nackt, ich habe ihn berührt, alle Stellen seines Körpers, und doch ist da nichts, nur Sachlichkeit, die Notwendigkeit des Augenblicks. Er friert so leicht.

***

Andauernd sind ihre Ohren aufgesperrt. Jederzeit kann er etwas wollen, etwas brauchen. Ein Glas Sprudelwasser bitte. Kannst du nachschauen, ob Post für mich da ist? Manchmal erklärt er Dinge unnötig genau. Als wüsste sie nicht, wie man eine Adresse auf einen Umschlag schreibt. Dann wieder schickt er sie los, Wein kaufen. Du kannst selbst entscheiden, welchen. Er muss nur zum Lamm passen. Sie fühlt sich, als hätte sie einen wichtigen Auftrag bekommen.

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