Sonntag, 24. November 2013

Der Traum vom Schreiben

Ich tippe ganz einfach drauf los und weiß nicht, was als Nächstes kommt. Wie wenn man am Abend im Dunkeln an einem fremden Ort ankommt, und am Morgen geht man los und hat keine Ahnung, was einen erwartet. Aber die Angst, die Unruhe, die Schwere vor dem Schreiben ist nicht mit dem Gefühl der frohen Erwartung zu vergleichen, das man hat, wenn man ein Hotel am Morgen verlässt. Das Schreiben ist immer mit Angst verbunden, mit Unruhe, mit Schwere, und gleichzeitig scheint das Schreiben in der Lage, die Angst, die Unruhe, die Schwere zu vertreiben oder in etwas anderes zu verwandeln. Es ist leichter, einen Fuß vor den anderen zu setzen, als die Finger auf der Tastatur loszulassen. Es gibt jedoch beim Schreiben einen Moment, in dem Angst, Unruhe, Schwere umschlagen in ein Gefühl der Neugierde, des Absorbiertseins, es ist vielleicht die Freude am Spiel, der Wunsch, einem Gedanken zu folgen, ihn weiterzuspinnen.

In den Nächten wache ich auf und bin überrascht von meinen Träumen, nehme mir vor, mich an sie zu erinnern, aber oft überdauern sie die Nacht nicht, und wenn ich am Morgen aufstehe, mit dem üblichen Gefühl der Unruhe, der Angst und der Schwere (auch wenn ich sie nicht wahrhaben will), wenn ich die Gardinen zurückschiebe und hinausschaue, wenn ich zum Herd gehe, den Espressokocher vorbereite, den Katzen Futter gebe, dann versuche ich vergeblich, das Traumgefühl eine Weile länger bei mir zu behalten.

Ich denke manchmal, mein Leben wäre so einfach, wenn ich auch im Wachzustand in der Lage wäre zu träumen, wenn ich mein Unterbewusstsein ganz einfach loslassen könnte, ihm dabei folgen, wie es Bilder und Geschichten hervorbringt, die immer etwas Wesentliches zu beinhalten scheinen, irgendeine Essenz, eine Wahrheit. Gestern sagte ich zu jemandem, von all den hunderten von Seiten, die ich geschrieben habe, ist etwa 99,9% Müll, und ich sollte es wegwerfen, aber ich bin nicht in der Lage dazu, weil ich immer noch hoffe, dass ich eines Tages, wenn ich diese Seiten durchblättere, doch etwas finden werde, was ich vielleicht übersehen habe.

Immer wieder habe ich drauflos getippt, mich dabei selber getäuscht, habe den wunden Punkt nicht gefunden, habe mich zerstreuen, ablenken, verwirren, verführen lassen, habe versucht, der Angst, der Unruhe, der Schwere zu entfliehen, sie zu verleugnen. Ich weiß nicht, wie viel vom Schreiben Talent ist. Das ist vielleicht, als würde man fragen, ob es ein Talent zum Leben gibt. Ich wünsche mir manchmal, dass mir das passiert, was man hin und wieder irgendwo lesen oder hören kann. Dass man vom Schreiben ergriffen wird, dass es stattfindet, ohne dass man sich einmischen muss, dass einem die Worte von irgendwoher diktiert werden.

Ich schreibe das, weil mich gestern jemand gefragt hat, ob ich einen Traum habe. Es fiel mir schwer, darauf zu antworten, weil ich es erst nicht zugeben wollte, dass ich den Traum vom Schreiben habe.

Keine Kommentare:

Lesbos 13/12 2021

Am Morgen wachte ich zum Plätschern des Regens auf. Machte mir Kaffee, schmierte mir Brote, packte eine Portion gesalzene Oliven in den Ruck...