Erster richtiger
Tag hier. Schlafe, wache auf, schlafe, wache auf. Nach neun Stunden fühle ich
mich ausgeruht. Wenn Caesarion rausgehen will, geht er zur Tür und schlägt
gegen den Schlüssel, der im Schloss steckt. Wenn er wieder reinkommen will,
steht er draußen und miaut sehr
vorsichtig. Ich bilde mir ein, dass eine der Katzen auf die Bettdecke gepinkelt
hat und nehme das dann hinein in meinen Traum.
Sitze jetzt im
Café Platanaki. Am Nachbartisch sitzen Männer aus dem Dorf. Sie kennen mich, wir
grüßen einander. Ich frage, wie warm das Wasser ist. "Warm", sagt der
eine. Ich sehe einen Menschen im Meer schwimmen. Das glitzernde Meer. Die Berge
in der Entfernung, im blauen Dunst, je weiter weg, desto blauer. Heute muss man sich in den Schatten setzen, weil es in
der Sonne zu warm ist.
Habe die Terrasse
gefegt und gewischt, einen schimmligen Joghurt weggeworfen. Eine Ladung Wäsche
in die Maschine getan. Anna kommt, um Max zum Fressen zu holen. Nachdem sie ihn
dort oben vor ein paar Wochen in den Käfig gesteckt hat und dann mit ihm zum Tierarzt gefahren ist,
meidet er das Haus wie die Pest. Er muss zweimal am Tag Antibiotika essen, wegen
seinem Bein. Es ist schon viel besser geworden. Vor einer Woche konnte er noch
nicht auftreten, jetzt humpelt er nur noch. Was ist passiert? Wahrscheinlich
hat ihn jemand geschlagen. Der dicke, gierige Max. Lange habe ich keine Gefühle
mehr für ihn gehabt, jetzt tut er mir leid.
Anna will wissen,
wie es mit dem Coronavirus in Schweden aussieht. In Südschweden gab es einen
Fall, als ich gefahren bin, im Rest des Landes mehr. Ah, gut. Sie sagt,
auf Lesbos bisher noch kein Fall. In Griechenland 30 oder 50 (habe es
vergessen), in Athen und Thessaloniki. Wir reden über Vorsichtsmaßnahmen. Nicht
umarmen. Die Hände waschen. Der Sommer ist endlich da! ruft sie. Kalokieri. Ich
sitze auf einem Mäuerchen und esse mein
Frühstück: Haferbrei mit Orange, Rosinen, dickem Joghurt.
Als ich meine
Schuhe anziehen will, spüre ich einen Stich - ich schüttele eine Wespe heraus,
die offensichtlich diesen Angriff auf ihr Leben nicht überleben wird. Google
sofort, drücke dann ein paar in eine Stoffserviette gewickelte Eiswürfel auf
die Stichstelle. Träufle Essig drauf. Erinnere mich an die "essigsauren
Wickel", die meine Mutter mir um meinen vom alljährlichen Bienenstich dick
geschwollenen Fuß legte.
Googelte außerdem:
schwarze Flecken auf Katzennasen, Weihrauch in der Schmerzbehandlung.
(Abends)
Nach zwei Gläsern
Retsina mit Sodawasser und zwei mit Salami und Käse belegten Broten sowie einem
kleinen Gurken-Tomaten-Salat mit Oliven sitze ich jetzt auf dem Bett. Cleo
schnurrt neben mir. Es ist schon Viertel vor zwölf.
Lasse den Tag Revue
passieren. Zweites Frühstück im Café Platanaki, wo ich eigentlich ein
Video-Gespräch mit Anas führen wollte. Er war aber noch nicht aufgestanden, und
ich hatte außerdem meine Kopfhörer vergessen. Eine Straßenkatze wollte ein
wenig von meinem Spinatpie abhaben. Bei einem ihrer Ohren war die Spitze
abgeschnitten, das Zeichen dafür, dass sie kastriert ist. Ich gab ihr die Reste
des Pies, als ich fertig gegessen hatte und kraulte sie dann zwischen den
Ohren, was sie schnurrend entgegennahm.
Kaufte bei Theodosos
ein, der mich fragte, was ich von der Weltlage halte. Das Beste ist, sagte ich vage,
wenn wir einen kühlen Kopf und ein warmes Herz bewahren.Ich stimme dir zu, sagte er. Ansonsten weiß
ich nicht, was ich sagen soll, sagte ich. Und du? Er wisse es auch nicht. Peace
of Mind, sagte er und tippte mein Gemüse in die Kasse. Jemand kaufte ein Brot.
Theodosos fragte mich nach meiner Zahnoperation. P hatte ihm davon erzählt. Sie
hat allen davon erzählt, lispelte ich und erzählte ihm von meiner
provisorischen Prothese. Ich bleckte die Zähne. Er lachte. Es ist gut, dich zu
sehen. Gleichfalls.
Giorgos saß im
Alten-Männer-Café hinter der Plastikplane. Er winkte mich hinein, bat mich,
mich zu ihm an einen Männertisch zu setzen, an dem gerade über Flüchtlingssituation
gesprochen wurde. Trink einen Kaffee! Ich gehorchte.
Er freut sich
sichtlich, mich zu sehen. Ich mich auch. Wir sind uns das letzte Mal viel
vertrauter geworden. Wie war es in Rom? Ganz einfach toll. Sie haben eine wunderbare
Woche gehabt und ALLES gesehen, was es in Rom zu sehen gibt. Er erzählt von
einer Treppe im Vatikan, über 500 Stufen, beschreibt, wie es sich anfühlte, da hochzusteigen, in einer Schlange von Touristen. Er wird lyrisch, es war phantastisch.
Nur die sixtinischen Kapelle haben wir nicht gesehen, sagt er. Wir haben sie
uns bewusst übrig gelassen, damit wir einen Grund haben, zurück nach Rom zu
kommen. Inzwischen sind sie auch eine Woche in Athen gewesen, als Touristen. Und er war in der
Türkei zu Besuch.
Ich sage, ich habe "ein paar Probleme" gehabt in
der letzten Zeit. So große Probleme wie Griechenland?, ruft er. Natürlich nicht.
Alles verblasst, verglichen mit den Problemen der Griechen. Die neue Flüchtlingssituation.
Er erzählt mir alles, was ich schon aus den Zeitungen weiß. Was schlägst du als
Lösung vor?, frage ich ihn. Was ich vorschlage?, sagt er. Er weiß es nicht. Wir tauschen unsere
Telefonnummern aus, weil sein Messenger nicht mehr funktioniert. Mein Telefon
ist zu alt, sagt er, ich habe keinen Platz mehr. Seine Zähne hat er nicht
machen lassen, weil ihm das Geld dafür fehlt. Er spitzt in meine Tüte mit dem
Gemüse, als wir uns verabschieden. Was kochst du heute? Einen Salat, sage ich,
Gemüse. Er lacht und schüttelt den Kopf gleichzeitig, ist nicht ganz zufrieden
mit mir.
Wieder zuhause,
spreche ich mit Anas, der gerade in Berlin ist. Er hat seine Mutter nach Ergänzungen
der Familiengeschichte gefragt. Das Problem ist bloß, dass sie dem
widersprechen, was er mir schon erzählt hat. Ich bin verwirrt, stelle ihm aber nach einer Weile keine Gegenfragen mehr, denke, wir müssen das später
klären. Ich zeige ihm die Katzen, die hinter mir auf dem Bett liegen, laufe
hinaus in den Garten, halte das Telefon so, dass er die Schafe auf dem
Nachbargrundstück sieht. Ich bin neidisch, sagt er und erzählt, dass seine
Katzen gestern so beleidigt deshalb waren, dass er weggefahren ist, dass sie
nicht einmal die Katzenleckerlis fressen wollten, die er auf dem Küchenboden
vor ihrer Nase ausstreute.
Lese in meinem Katzenkrimi,
male ein Bild vom Akanthus. Meine Schwester schickt ein Bild von unserer Mutter
beim Bäcker Brunner, vor einer Tasse Kaffee und einer Zwetschgentasche. Sie
haben einen Spaziergang gemacht. Vor einer Woche konnte sie kaum vom
Bett zum Klo gehen. Die Schmerztherapie mit Weihrauch und Kurkuma scheint
anzuschlagen.
Ich schreibe
Giorgos eine Nachricht auf Whatsapp: "Now we are connected." Er
antwortet kurz darauf: "Yes we are."
Mache einen
Abendspaziergang mit dem Fotoapparat. Fotografiere Schafe, Olivenbäume, finde
auf einem Müllhaufen einen aus selbstgezimmerten, morschen Hocker mit vielen
Wurmlöchern, den ich gerne mitnehmen würde, aber ich lasse es dann und mache nur
viele Fotos davon.
Bin zufrieden mit
meinem Tag. Ich bin mit meinem Text weiter gekommen, fühle mich jetzt in meinem
Element. Der Krimi, den ich lese, gefällt mir immer besser. Ich muss einfach
nur weitermachen mit allem. Der einzige Wehmutstropfen: die Heizung ist
ausgefallen, und ich verstehe trotz mehrmaligem Besuch im Keller nicht, was los
ist.
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