Sonntag. Wieder
eine Weile nichts geschrieben.
Am Freitag Caesarion zur Tankstelle gebracht. Herzzerreißend: wie Cleo hinter uns herlief,
auf dem Sandweg, der eigentlich gar nicht zu ihrem Revier gehört. Kein Mensch
kann mir erzählen, dass Katzen keine Gefühle haben. Ich musste sie mit vorgetäuschter Unfreundlichkeit zurück stampern, damit sie uns nicht bis zur Asphaltstraße folgte.
Gleichzeitig mit
mir kam der Taxifahrer an: Christos. Braungebrannt und sportlich. Er hatte
schon eine Katzenbox mit einem anderen Patienten auf dem Rücksitz in ein Laken
gebettet. Caesarion bekam den Nachbarplatz. Erleichterung und trotzdem ein
schweres Herz, als ich zurück zum Haus ging. Punxy war den ganzen Nachmittag
deprimiert, jedenfalls sah es so aus. In der Nacht dann waren, zum ersten Mal,
seit ich jetzt hier bin, beide Katzen draußen. Ich weiß natürlich nicht, woran
es lag, aber es kam mir vor, als seien sie unruhig wegen Caesarion.
Es regnet in Strömen.
Habe gerade ein Blaukrautrisotto mit Trachanas und Ladotiri gegessen. Teilweise
eine eigene Erfindung. Lecker. Hörte dabei am Radio eine Sendung zum Coronavirus an,
auf Griechisch. Verschiedene Experten (die Mehrzahl davon Frauen) sollten eine
Stellungnahme abgeben. Natürlich habe ich nicht verstanden, was sie gesagt
haben, nur einige Wörter hier und da. "Krankenhaus". "Nächste
Woche". "Und". "Oder". "Corona".
"Zuhause". Dafür hätte ich vielleicht auch nicht jahrelang Griechisch
zu lernen brauchen. Trotzdem. Es ist angenehm, menschliche Stimmen im Haus zu
haben, und es macht mir Spaß, aus dem schnellen, atemlosen Reden, das den
Griechen offensichtlich zu Eigen ist, einzelne Wörter herauszuhören. Einmal
ging ich kurz raus, und als ich zurückkam, dachte ich einen Augenblick, dass sich
im Haus zwei Frauen unterhielten. Einmal flackerte der Strom, und der Sender
wechselte zur Türkei. Die türkischen Sender sind viel klarer hier, wegen der
geographischen Nähe, aber mir war nicht nach türkischer Musik, selbst wenn sie
schön gewesen wäre.
Diese Woche war
eine große Anstrengung. Zwei Schreibkurse in Gang gesetzt und angeleitet und
gestern mein erster Tanzworkshop über Zoom. Es ging besser, als ich erwartet hatte,
aber es ist auch vieles schiefgegangen - teilweise herrschte ziemliches Chaos,
und ohne P hätte ich es nicht hingekriegt.
Hinterher war ich
ausgelaugt und blieb im Teepavillon sitzen. Beschloss, einen Vortrag von Artie
Wu anzuhören, und holte mir dazu ein paar Käsebrote und ein Glas Retsina. Während
ich da saß, wurde es draußen dunkel, und allmählich fing es an zu regnen und zu
stürmen. Der Wind rüttelte am Pavillon, der nur aus Holzwänden und großen
Fensterflächen besteht. Ich saß in der Dunkelheit da, angeleuchtet von meinem
IPad, und fragte mich, wie ich bei diesem Wetter wohl zum Haus kommen sollte.
Ich bin heute
seit exakt einem Monat hier. Als ich ankam, war es so warm, dass ich nur mit
einer Bluse ins Dorf radelte. Dort saß ich bei Ignatios und ass kleine Fische,
dicke Bohnen und gemischten Krautsalat. Was ist Zeit? Was sind Erinnerungen?
Wer bin ich da gewesen?
Habe heute wieder
Hamishs Kopf untersucht und gesehen, dass eine seiner Zeckenwunden sich
vereitert hat. Wahrscheinlich ist ein Teil der Zecke steckengeblieben. Er ließ
es zu, dass ich den Eiter herausdrückte und die Wunde schließlich mit
Hydroperoxid auswusch. Eine Weile lag er auf dem Fußabstreifer herum, dann
trollte er sich wieder. Wenn es nicht besser wird, muss ich ihn am Donnerstag
nach Petra zu Myrsini bringen. Ich habe sowieso vor, ihn kastrieren zu lassen.
"Kriegslicht"
habe ich jetzt ausgelesen, gegen Ende aber mit immer weniger Engagement. Die
Erzählung war zwar gut recherchiert (es ging um Männer und Frauen im englischen
Geheimdienst während des Zweiten Weltkriegs und hinterher) und viele der oft skurrilen
Fakten waren interessant, aber die Handlung drumherum erschien mir, je länger
ich las, um so mehr an den Haaren herbeigezogen. Der Erzähler wurde immer
farbloser- oder chamäleonartig
changierend - vielleicht war das auch so beabsichtigt. Manche Charaktere waren
auch einfach nicht glaubhaft. Manchmal bekam ich den Eindruck, dass der Autor
seine Leser mit seinen kunstvollen Sätzen beeindrucken wollte. Der Tod der
Mutter am Ende hat mich nicht berührt. Seltsam.
Inzwischen habe
ich wieder einen Krimi von Xiaolong Qiu angefangen und streune in den shikumen-Vierteln von Shanghai herum, wo
in einem armseligen Treppenkämmerchen die Leiche einer Frau gefunden wurde, die
Verfasserin eines politisch umstrittenen Roman war. Komisch, dass Krimis so ein
behagliches Gefühl hervorrufen können.
Hin und wieder
muss ich mir ins Gedächtnis rufen, warum ich eigentlich hier bin. Ich bin so
weit weg von allem. Die Vögel zwitschern.
Dann wieder plätschert der Regen. Lese New York Times, Süddeutsche,
manchmal Guardian. Reiße mich dann wieder los. Was sollen die Zahlen?
Jemand schrieb in
der Leserkommentarspalte der New York Times: Was, wenn wir jetzt einen
Hurricane bekommen, einen Brand, eine Überschwemmung? Diese Dinge werden wegen
dem Coronavirus nicht aufhören!
Jeden Tag denke
ich, es wird noch viel schlimmer als ich noch gestern gedacht habe, und am nächsten
Tag denke ich, es reicht nicht - es wird so schlimm, wie ich es mir noch gar
nicht vorstellen kann. Aber auch diese Gedanken helfen nichts.
Meine Schwester hat
jetzt ein Schild mit einem großen Stopzeichen an die Wohnungstür unserer Mutter
gehängt: "Stop! Einkaufen besorgt I. Spazierengehen ist erlaubt."
Unsere Mutter war wieder mal trotz "Verbot" beim Einkaufen. Getränkemarkt,
Drogeriemarkt, Zeitschriftenladen. Ihr war eingefallen, dass sie eine neue Hörzu
braucht, und da hatte sie gleich ihren knallroten Gehstock geschnappt und sich
auf den Weg gemacht.
Die Blätter am
Feigenbaum, die nach den ersten Wochen hier anfingen, klein und durchsichtig hervorzuspitzen,
sind jetzt schon fast ausgewachsen. Die Natur weiß, was sie zu tun hat, und sie
tut es.
Bin wieder müde.
Lege mich aufs Bett zu Punxy. Schließlich ist heute Sonntag, und ich habe die
offizielle Erlaubnis erhalten (von P), nichts zu tun.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen