2020/05/07 21:01
Es ist nur ein
Tagebuch. Warum veröffentliche ich es dann als Blog? Es gibt mir das Gefühl,
dass es eine Art Arbeit ist. Dass ich eine Pflicht habe, sie zu erledigen. Und
wenn ich den Blog hinterher lese, habe ich den Eindruck, dass ich etwas getan
habe. Ein Tagebuch verschwindet, geht unter. Manche Dinge lasse ich beim Veröffentlichen
weg. Andere würde ich nicht schreiben, wenn ich nicht an den Blog denken würde.
Gestern wieder
Einkaufstag. Theodosos hat einen Mund-Nasen-Schutz an. Das ist jetzt Pflicht,
sagt er, für die Leute, die in Geschäften arbeiten, aber nicht für die Kunden.
Ich lade meinen Rollkorb wieder voll bis über den Rand, aber plötzlich ist er
verschwunden. Schließlich finde ich ihn auf der Theke. Jemand hat ihn schon für
mich hochgehoben. Theodosos erkundigt sich wieder nach P. Fragt nach meiner
Arbeits- und Geldsituation. Wie lange bist du schon hier? Und wie lange noch?
Ich erkläre ihm meine Lage, er hört interessiert zu. Ich weiß es nicht, wie er
es schafft, den Kunden das Gefühl zu geben, dass er sich genuin für sie
interessiert. Er ist mein Seelsorger. Wenn ich von ihm weggehe, habe ich immer
ein gutes Gefühl. Kaufte mir aus einer Laune heraus ein Eis am Stiel, fühlte mich aber sauschlecht,
als ich es gegessen hatte.
Später, am
Strand, traf ich wieder die holländischen Frauen, die vor ein paar Tagen
angefangen haben, mich zu grüßen und ein paar Worte mit mir zu reden. Sie sind
in einer gemischten Frauengruppe, Griechinnen und Holländerinnen, und reden fließend Griechisch, sprachen mich aber (natürlich) auf Englisch an. Sicher sind sie mit Griechen verheiratet und leben schon seit
Jahrzehnten hier. Wir kamen heute darauf, dass wir "Nachbarn" sind.
Ich habe sie noch nie ins Wasser gehen sehen. Im Gegensatz zu ihnen fahre ich
nur zum Schwimmen an den
Strand. Ich bleibe hinterher so lange auf einem Mäuerchen sitzen, bis
der Sand an meinen Füssen getrocknet ist und ich meine Schuhe wieder anziehen
kann. Unterdessen lese ich, im Moment: Kazuo
Ishiguro, When We Were Orphans.
Gestern Abend der
Mahamudra-Kurs im Teepavillon. Das erste Mal, eine Woche nach meiner Ankunft,
war ich noch in Decken und Schals gehüllt, bibberte trotzdem und trank heißen
Tee, gestern saß ich mit einer dünnen Bluse neben dem offenen Fenster, auch
wenn es gegen Ende kühl wurde und ich mir in der Pause ein langärmeliges
T-Shirt holen musste. Die vertrauten Gesichter auf dem Ipad. Wir reden nicht
miteinander, reden überhaupt nicht - trotzdem gibt es eine tiefe Gemeinsamkeit.
Manche sitzen so still da wie Statuen. Andere sind unruhig, kochen Tee,
schmusen mit ihrem Hund. Einer war ständig mit irgendwas auf seinem Handy beschäftigt.
Ich machte einige Personenskizzen mit dem Bleistift, um nicht einzuschlafen.
Meine vertraute Müdigkeit, mein Gähnen. Bei mir ist es eine Stunde später.
Hinterher aß ich Erbsensuppe mit Knäckebrot. Naja, Notlösung.
Dieses Glücksgefühl,
weil mir solche Angebote zur Verfügung stehen. An die Grenzen gehen, über den
Verstand, das Denkbare hinaus. Trotzdem diese tiefe, unverrückbare Überzeugung,
dass nur das wirklich von Interesse für mich ist.
Punxy rumpelt
gerade unter dem Dach herum - keine blasse Ahnung, was sie jetzt wieder
ausgeheckt hat. Cleos Auge scheint von selber geheilt zu sein, ich kann es gar
nicht glauben und muss immer wieder nachsehen, was sie natürlich nervt, weil
ich ihr dazu für ihren Geschmack zu sehr auf die Pelle rücke. Caesarion sieht
leider nicht besonders gut aus. Die Tabletteneinnahme wenigstens geht
inzwischen schnell vonstatten. Hamish ist jetzt seiner eigenen Ansicht nach
hier ein Mitglied des Haushalts. Er darf zwar nicht ins Haus (nach der Operation war eine Ausnahme), legt sich
aber immer auf den Fußabstreifer, in typischer Hamish-Manier, wie ein schlaffer
Sandsack. Wenn man ihn von irgendwo wegtreiben will (er drängt sich nämlich
andauernd vor), lässt er sich einfach zur Seite fallen - plopp - und schaut
einen dann mit treuherzigen Augen an.
Habe heute die
zweite Woche des autobiographischen Schreibkurses eingeleitet. Aufgaben und
Methoden, Gruppeneinteilung und Feedback.
Müde. Am Strand
war heute niemand. Das Wasser war wild und es ging ein kühler Wind. Ich ging
trotzdem ins Meer, schwamm aber nicht weit hinaus, besorgt, dass es eine Strömung
gibt, die mich hinausziehen könnte. Las hinterher in meinem Buch, zum ersten
Mal von einem kleinen Hauch von Heimweh angeweht. P ist heute in den Garten
gezogen und schickte ein Bild von S auf dem Küchentisch.
Muss neue
Aufgaben für mich finden, nachdem ich einige größere Projekte in den letzten
Tagen abgeschlossen habe, wodurch erst einmal eine Leere entstanden ist. Die
Zeit nutzen, die ich hier habe. Heute habe ich im kleinen Laden am Dorfausgang
zwei Tüten mit Salat-Samen gekauft und dann die alten Rosenbeete hergerichtet,
mit Kompost aus der Tonne. Mal sehen, ob es mir gelingen wird, während meiner
Zeit hier noch einige selber gezogenen Salatblättchen zu essen.
Der Tagebuch-Blog
ist Struktur, Verarbeitung, Gedächtnisstütze, ein Versuch der Mitteilung, auch
an mich selber.
Ein neues Brot
angesetzt, mit einem Teil Vollkornmehl, das ich gestern bei Theodosos entdeckt
habe.
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