"Sometimes there's so much beauty in the world I feel like I can't take it, like my heart's going to cave in." (Ricky Fitt in "American Beauty")
Dienstag, 14. Dezember 2021
Lesbos 13/12 2021
Lesbos, 12/12 2021
In der Nacht wurde ich zweimal von einer Wespe gestochen, die aus unerfindlichen Gründen unter die Bettdecke geraten war. Ich fand sie erst am nächsten Tag tot auf dem Laken und hatte damit eine Erklärung für das, was mir in der Nacht solche Angst bereitet hatte. Meine nächtlichen Phantasien waren völlig ausgeflippt, als ich von dem Schmerz aufgewacht war (erst in der Bauchgegend, dann am Oberarm). Vielleicht war es ein Parasit, den ich in der heißen Quelle aufgeschnappt hatte und der mich jetzt invadierte? Auf dem Weg nach Eftalou hatten wir in einer Pfütze ein paar fadendünne Würmer gesehen, die sich im Wasser ringelten und auf den ersten Blick aussahen wie Grashalme. Ich hatte einen davon aus dem Wasser gefischt und ihn hochgehalten und er hatte sich weiter an meinem Finger gekrümmt, man hatte sogar am Ende des Fadens etwas wie einen Kopf ausmachen können. Vielleicht hatte dieser Wurm irgendwie etwas auf meiner Haut hinterlassen, das sich jetzt Eingang in meinen Körper verschafft hatte. Ich hatte ein fiebriges Gefühl und ging ins Badezimmer, um im Spiegel zu sehen, wie die Stellen aussahen. Tatsächlich war es, als würde sich unter meiner Haut etwas ringeln. Natürlich konnte ich nun nicht mehr schlafen, machte dann um halbsieben Yoga Nidra und stand hinterher auf, kochte Kaffee, fing an, das Bett neu zu beziehen und fand die Wespe, die alles erklärte. Die Stiche waren inzwischen angeschwollen und rot, und ich fühlte mich immer noch ziemlich mitgenommen.
Lesbos 10/12 2021
Lesbos, 11/12 2021
Samstag. Fahre ins Dorf, kaufe FFP2-Masken für meinen Flug und meine Zugfahrt nach Regensburg, besorge eine Flasche Retsina und Sodawasser für P. Unsere Übereinkunft: bei der Abreise stellt man einen Willkommensgruß in den Kühlschrank. Verabschiede mich von Theodos. Wann ich wiederkomme? Wenn alles gut geht, nächstes Jahr. Er lacht. Das Komische ist, dass die Leute hier sich mein Leben in Schweden überhaupt nicht vorstellen können. Aber ich kann es ja auch nicht.
Ein letztes Mal zum Baden nach Eftalou, mit C. Wir gehen zu Fuß, über die Olivenhaine, vorbei an dem angeketteten Hund, der sich jedesmal riesig freut, wenn man stehenbleibt, mit ihm redet, ihn streichelt. Die kurze Kette ist an einer Laufleine angemacht, die vielleicht drei Meter lang ist, aber sie hat sich zudem verhakt, so dass er (ein großer, starker Hund) fast keinen Spielraum hat. Das Haus, in dem die Familie wohnt, steht weit entfernt am Hang. Ich fühle mich hilflos, wütend, traurig. Leider haben C und ich das Thema Impfungen angesprochen, und es hat sich gezeigt, dass sie, obwohl geimpft (wegen der Bequemlichkeiten), die Impfung ablehnt. Eigentlich möchte sie nicht darüber sprechen, aber es kommt dann doch heraus, sie redet von Herdenimmunität (es gebe sowieso zu viele Menschen auf diesem Planeten) über die Anekdote von dem südafrikanischen Arzt, der eine Naturmedizin gegen Covid entwickelt habe, die schließlich (auf der Druck der Pharmaindustrie) verboten worden sei. Die Pharmaindustrie habe natürlich Interesse daran, dass der Virus mutiert, und wenn man mitten in einer Pandemie die Leute impfe, brauche man sich auch nicht über Mutationen wundern. Ich fühle mich hilflos. Wie soll ich dagegen anreden? Versuche, mich ins Anekdotische zu retten. Dass es in Griechenland offensichtlich Leute gibt, die fest glauben, dass der Virus ihnen nichts anhaben kann, wenn sie in die Kirche gehen. C daraufhin, es könne schon sein, dass man sich leichter infiziert, wenn man Angst hat. Ich bin ziemlich baff, will aber nicht auf dem Thema herumreiten, schließlich wollten wir einen langen Spaziergang machen, einen angenehmen Nachmittag haben.Lesbos 10/12 2021
Cleo schnurrt neben mir. Tiny verfolgt Tausendfüßler, die jetzt, wo es feuchter ist, unter der Tür wieder ins Haus kommen. Louis liebt die Rolle, die gegen die Zugluft an der Türschwelle liegt. Er zerrt sie vor und umarmt sie dann leidenschaftlich und ein bisschen brutal. Ich habe heute wieder ein Bild fertig gemalt und jetzt "nur" noch fünf Leute auf meiner Liste. Dieses Mal belastet mich die Liste mehr als im letzten Sommer. Damals war es einfach eine Beschäftigung. Jeden Tag habe ich ein Bild gemalt. Jetzt bin ich perfektionistischer geworden. Ich brauche drei Tage für ein Bild und erwarte mir dann dementsprechend viel Begeisterung, bin enttäuscht, wenn sie ausbleibt..
Lesbos 9/12 2021
Lesbos 7/12 2021
Lesbos 6/12 2021
Nachgetragen:
Freitag, 3. Dezember 2021
Lesbos 3/12/2021
2021/12/03 09:37
Warum ich Soprano nicht mit der Sprühflasche verjage: weil mich seine vorwurfsvolle Art, mich durchs Fenster anzusehen, die mir deutlich machen soll, dass er schon wieder das "falsche" Futter bekommen hat, jeden Tag zum Lachen bringt. Und auch sein "Gesang", wenn er den Weg zum Haus hoch trottet. Seine hohe Stimme steht in einem so großen Gegensatz zu seinem respekteinflößenden Äußeren, dass das allein schon komisch ist.
Tiny aka Sassy wird inzwischen auch fordernd. Wenn man sie nicht ausreichend streichelt oder sie daran hindert, dass sie sich einem beim Schreiben auf die Hände setzt, kriegt man eins auf die Pfoten. Sie hasst das Anti-Pilz-Shampoo. Ich habe schon zahllose winzige Kratzwunden an meiner Hand.
Ein neuer Tag. Ich gratuliere mir zu meiner Entscheidung, eine Woche länger hier zu bleiben. Habe vor, heute nach Kalloní zu fahren. Meine Uhr reparieren lassen. Futter für das Kätzchen kaufen. Im Café sitzen. Lesen. Wieder zurück fahren.
Lesbos 2/12/2021
2021/12/02 18:34
Ich frage mich, warum ich nie in einen Zustand des inneren Friedens gelange. Was ich mir auch vornehme, ich werfe mir selber etwas vor die Füße (etwas wirft sich vor meine Füße, und ich muss sofort ein Drama draus machen). Mein Nachbar J sagt, dass ich die Katzen anziehe ("attract") - "because of your mindset". Ich sage ihm nicht, dass er die Probleme mit den griechischen Handwerkern anzieht - "because of your mindset", d.h., ich sage es erst viel später, und wir können drüber lachen.
Inzwischen sind schon wieder viele Probleme aufgetaucht, die sich zwar zunächst lösen ließen, sich aber dann doch aus unerwarteter Richtung wieder als Probleme formierten. Immer wieder schlaflose Stunden in den Nächten. Alle möglichen Eventualitäten werden in meinem Kopf durchgekaut. Was machst du, wenn du nicht schlafen kannst, fragte ich J. Ich rezitiere ein Mantra, antwortete er. Wir einigten uns darauf, dass es nicht das "ich" ist, das denkt, sondern der Kopf (wir benützen das englische Wort "mind". das viel besser ist). Warum gibt es für "mind" kein passendes deutsches (und auch schwedisches) Wort?
Ich habe inzwischen meinen Flug um eine Woche verschoben und eigentlich gedacht, dass ich jetzt endlich entspannen und loslassen kann, dass ich endlich frei bin, um mein volles Potential auszuschöpfen und das zu tun, weshalb ich eigentlich hier bin. Griechisch lernen, malen, schreiben, das nächste Jahr planen. Immer wieder sehe ich das Fegen, das Aufräumen, das Abspülen am Morgen als eine Zeitverschwendung an. Immer noch verplempere ich Zeit mit den Corona-Nachrichten, mit sozialen Medien, mit dem iPhone. Teufelszeug. Wegen allem kann ich mir Sorgen machen.
Die kleine Katze, die vor drei Tagen hier auftauchte, konnte ich ganz einfach nicht ihrem Schicksal überlassen. Sie war völlig ausgehungert und (das wusste ich da noch nicht) ziemlich krank. Inzwischen waren wir bei der Tierärztin, die eine Ringwurm-Infektion diagnostizierte, und wir haben eine Behandlung begonnen. Sie (ich dachte zuerst "er") war zwar der Anstoß dafür, dass ich meinen Flug um eine Woche verschoben habe, aber letztendlich habe ich es für mich getan. Ich brauche diese Zeit noch, dieses langsame Ausklingenlassen, ohne Hektik, ohne Dinge, die ich tun muss, hoffentlich ohne Tierarztbesuche und Angst um eine der Katzen, ohne Zoom-Meetings, ohne Kurse, die ich betreuen muss, sogar ohne Filme. Vielleicht könnte ich endlich mein Buch über Homer auslesen, durch das ich mich momentan nur langsam durchquäle.
Das Wetter ist unberechenbar. Erst warm, dann wieder eiskalt, dann kommt ein Wind auf, es regnet, und hinterher strahlender Sonnenschein. Das kostet manchmal Energie, lässt aber ein Gefühl von Lebendigkeit entstehen. Auch die Bilder, die ich male, sind unvorhersehbar. Oft kann ich ein Bild, das ich in einem früheren Stadium noch gut gefunden habe, einfach nicht sein lassen und verderbe es dann. Das kostet mich auch Schlaf. Ich holte heute einen riesigen Malblock vom Speicher. Caesarion bekam richtig Angst, als ich damit die Leiter herunter kam. Jetzt liegt das Monster auf dem Boden und macht MIR Angst. Die Angst vor dem leeren Blatt Papier. Die Angst vor dem Versagen. Die Angst davor, vernichtet zu werden.
Am Dienstag machte ich mit den Nachbarn eine Wanderung, wir gerieten von Sonne in Regen, Hagel. Mein rechter Schuh löste sich auf, C verarztete ihn mit einem zusammengebundenen Stück Stoff, aber das hielt nicht lange, und ich wechselte zu meinen Flipflops, was gut ging, bis der zunächst bequeme, breite Weg zu einem engen, zugewachsenen, steilen Geröllpfad wurde (später begriffen wir, dass wir wieder mal falsch gegangen waren). Als wir einen schmalen Wasserarm überqueren sollten, schienen die Flipflops praktisch zu sein, aber das Wasser stand zu hoch, ging mir bald zu den Knien, und plötzlich wurden meine Füße vom Schlamm erfasst. Es war ein Augenblick der Panik. Ich hätte meine Flipflops im Schlamm lassen können, dann wäre ich leichter wieder herausgekommen, aber dann hätte ich barfuß weitergehen müssen. Vor meinem inneren Auge das Bild (ich kannte es aus alten Abenteuerfilmen), dass ich immer weiter einsinke, bis nur noch mein Arm theatralisch aus dem Wasser ragt. C und J standen derweilen am Ufer und überlegten schon (so erzählten sie hinterher), wie sie mich retten könnten, wenn ich tiefer einsinken würde, aber das Ganze dauerte nur etwa eine Minute, und es gelang mir, mich mit aller Kraft aus dem Sog zu befreien und ans Ufer zurückzukehren, mit tropfenden Hosenbeinen. Wir liefen den Weg zurück, während es langsam dunkler wurde. Als wir uns mit dem Auto unserem Zuhause näherten, fühlte es sich an, als kämen wir nach einer langen Abwesenheit zurück.
Gestern zwei Stunden in der Tierarztpraxis, ein griechisches Drama mit einer älteren Griechin und ihrem ständig bellenden Hund (und ihren pausenlosen Versuchen, ihn durch Schreien zum Verstummen zu bringen, was natürlich nicht klappte), einem englischen Paar in knapper Freizeitkleidung und ohne Mundschutz, die sich vordrängten (er nannte sie "chicken", ihre Stimme hörte man nie), einem in Molivos ansässigen Engländer mit seiner Hündin Peggy, der sich so große Sorgen wegen ihres Hustens machte, dass er beim Reden ständig den Tränen nahe war, und dem "Engel"-Juwelier aus Molivos, der mit einer Katze gekommen war und von etwas abseits das Geschehen lächelnd betrachtete. Ich bewunderte, wie Myrsini die Ruhe behalten konnte und noch den Nerv hatte, mit mir über den Geräuschpegel hinweg ein Gespräch zu führen, während sie gleichzeitig eine junge Katze sterilisierte. Währenddessen saß J auf dem Parkplatz im Auto und zeigte nicht die geringste Ungeduld, wenn ich in unregelmäßigen Abständen ans Fenster klopfte und sagte, es würde jetzt doch länger dauern.
Und heute: Nach einem Vormittag am Computer (das Unmögliche planen, weil Corona schon wieder einen Strich durch alle Rechnungen macht) belohnte ich mich bei Ignatio (Nati) und seiner Frau mit kleinen frittierten Fischen, weißen Bohnen und einem einfachen Salat. Ich war der letzte Mittagsgast, die übliche Männergruppe war schon im Aufbruch, als ich kam. Ein Glas Weißwein?, fügte Ignatio meiner Bestellung in fragendem Ton hinzu, und obwohl ich mir vorgenommen hatte, heute nur Wasser zu trinken, sagte ich ja. Immer öfter traue ich mich, etwas auf Griechisch zu sagen. Es kamen schwarze Wolken auf, mein Blick saugte sich an ihnen fest, während ich mein Essen bis auf den letzten Krümel und den letzten Olivenöltropfen verzehrte, wohl wissend, dass Ignatio und seine Frau froh sein würden, wenn ich endlich fertig wäre. Er saß auf seinem Stuhl und gähnte hin und wieder herzhaft, seine Frau kam nach einer Weile aus der Küche und setzte sich schweigend neben ihn, und ich vermied es, in ihre Richtung zu schauen. Zerteilte meine kleinen Fische mit den Fingern, saugte die Soße der weißen Bohnen mit dem gelben Brot auf, dachte an Christina, mit der ich oft hier gesessen habe. Bei unserem letzten Treffen hatte sie schon so gut wie aufgehört zu essen, etwas zeichnete sich schon ab, aber man wusste nicht, was es war. Im Fenster steht ein Blumentopf mit ihrer Lieblingsblume. Eine Handvoll ihrer Asche ist in die Blumenerde gemischt. Ignatios und seine Frau wissen es nicht, aber sie ehren die Pflanze, ein Gedenken an Christina, die Ärztin aus Schweden.
Auf dem Heimweg fing es an zu regnen. Ich füllte wieder eine Trommel mit Wäsche, googelte "ringworm" und gab mich dann eine Weile meinen Sorgen und meinem Selbstmitleid hin. J hat schon Recht: Es ist meine Einstellung zu den Dingen, die mich an der Wirklichkeit leiden läßt. Gelassenheit stellt sich nur hin und wieder ein, in kurzen, verschwindenden Augenblicken.
Lesbos 28/11/2021
2021/11/28 21:49
Heute im Sonnenschein eine Wanderung nach Eftalou und dann weiter nach Skala Sikaminias, mit meiner Nachhbarin C.
Ich hatte vorgeschlagen, dass wir am Meer entlang gehen sollten, aber es wurde mir schnell klar, dass ich dabei nicht daran gedacht hatte, wieviel es in den letzten Tagen geregnet hat. Nach einigen Strandbuchten kamen wir an eine Felsenkante, die wir nicht umrunden konnten, ohne ins Wasser zu steigen. Wir zogen also die Schuhe aus, versuchten eine niedrigere Welle abzuwarten und im richtigen Moment loszugehen, während wir uns gleichzeitig am Felsen festhielten. Dann kam eine weitere Felsenkante, und hier schien es uns unmöglich, übers Wasser zu gehen. Die Gefahr wäre zu groß gewesen, dass eine Welle uns überspült hätte. Wir kletterten eine Felswand hoch und sahen uns einer Landschaft aus dornigem Gestrüpp gegenüber, hatten aber keine Wahl, als weiterzugehen. Die Dornen stachen durch meine Schuhe, durch meine Hosenbeine, und ich hoffte nur, dass der kleine Pfad, auf dem wir uns befanden, nicht plötzlich aufhören würde.
Bin jetzt zu Hause und höre für heute auf zu schreiben. Punxy hat wieder gehustet. Louis' Brustwunde hat doch noch einmal geeitert, ich musste sie noch einmal ausdrücken. Heute Abend sah es wieder besser aus. Cleos Wunde ist nach drei Wochen immer noch nicht ganz zugeheilt.
Mir fallen die Augen zu. Trinke Bergtee.
Lesbos 27/12/2021
2021/11/27 12:37
Gestern Nachmittag kam erst Regen, dann Sturm und schließlich noch mehr Regen. Gerade als ich das Haus verlassen wollte (hatte mich schon fertig gemacht), fing es an zu tröpfeln, und ich blieb dann doch auf der Terrasse, las in meinem Buch ("The Mighty Dead - why Homer matters" von Adam Nicolson) und trank eine Tasse Tee. Als ich schon wieder im Haus war und an meinem "Mal- und Esstisch" ein paar Skizzen machte, fiel der Strom im ganzen Dorf aus, eine Stunde vor einem geplanten Zoom-Treffen. Schnell (so lange ich noch Internetanschluss und genug Batterie in meinem iPhone hatte), warnte ich die Teilnehmerinnen meines Schreibkurses, dass ich möglicherweise zur verabredeten Zeit nicht online sein können würde. Dann kam der Strom zurück, aber das mobile Netz war nun ausgefallen. Ich fing gerade an, mich darüber zu freuen, dass ich um das Treffen herumkommen würde, da tauchte das 4G-Signal im Handy plötzlich wieder auf. Das war drei Minuten vor dem Zoom-Beginn. Am Ende war es doch gut so, sonst hätte ich das Treffen auf einen anderen Tag verschieben müssen.
Hinterher das Bedürfnis, in die Nacht hinauszugehen. Der Regen hatte seit Längerem aufgehört. Ich nahm die Taschenlampe, vorsichtshalber einen Schirm und machte mich auf den Weg. Erst da konnte ich sehen, wie stark es geregnet hatte. Der Abflussgraben neben dem Weg war übergelaufen und es sah so aus, als wäre der halbe Weg weggespült - das Regenwasser hatte tiefe Furchen gegraben. Und das Flussbett war ein rauschender Strom aus braunem Wasser.
Im Dorf steuerte ich das Gyros-Lokal an, in dem alles aussah wie sonst, außer dass weniger Kunden da waren. Allein saß ich in dem hell erleuchteten Lokal. Einige Männer kamen und holten sich Bestelltes in Plastiktüten ab. Beim Betreten des Raums war ich gefragt worden, ob ich geimpft sei. Ja, bin ich. Wollen Sie den Nachweis sehen? Nein. Ich las weiter in Adam Nicolsons Buch, stopfte den Gyros viel zu schnell in mich hinein, weil ich solchen Hunger hatte, und ging dann in der seltsam warmen Nachtluft wieder nach Hause. Der Abschluss eines eigentümlichen Tages.
Ich malte noch ein Bild fertig, das ich vor dem Stromabbruch angefangen hatte, und dann blieb ich an irgendetwas hängen, ich weiß nicht mehr genau, woran, im Zweifelsfall in sozialen Medien, und es wurde plötzlich sehr spät. Als ich das Licht ausmachte, war es schon nach zwölf. Dafür war die Nacht dann nicht gut. Der Gyros lag mir schwer im Magen, die drückende Wärme fühlte sich falsch an. Ich musste die Wolldecke abstrampeln. Plötzlich wachte ich davon auf, dass die grelle Lampe vom Ventilator sich wieder eingeschaltet hatte, was sie immer tut, wenn nach einem Stromausfall der Strom wieder zurückkommt. Um halb fünf Uhr versuchte ich, meine nutzlosen Gedanken loszuwerden, indem ich Yoga Nidra machte, und muss wohl eingeschlafen sein, weil es halb acht war, als ich wieder auf die Uhr schaute.
Am Morgen schaffe ich jeden Tag wieder Ordnung in dem kleinen Zuhause. Mache das Bett, räume die Kleider weg, fege, schüttle die Teppiche aus, spüle ab, was eventuell vom Abend noch dasteht. Schaufle die Klumpen der Nacht aus dem Katzenklo. Mache mir Kaffee in der Espressokanne und esse Honigbrote dazu, während ich auf dem iPad Nachrichten lese. Was ist passiert? Eine neue Variante des Covid19-Virus wurde in Südafrika entdeckt. 46 Millionen Truthähne mussten ihr Leben für das amerikanische Thanksgiving geben - eigentlich haben sie nur für diesen Tag gelebt, sind darauf hin gezüchtet worden.
War bereits beim Einkaufen, habe Sauerteig und Wasserkefir angesetzt. Vage habe ich heute den Wunsch, eine Wanderung machen, in die Natur zu kommen. Sind auch meine Wanderungen eine Flucht? Aber was ist eigentlich keine Flucht? Wovor? Vor dem Schmerz.
22:15
Fühle mich etwas krank, nicht ganz wohl in meiner Haut. Vielleicht ist es nur Übermüdung. Noch eine Zoom-Sitzung hinter mich gebracht. Ab nächster Woche ist meine Zukunft ein unbeschriebenes Blatt.
Schreibe von jetzt an täglich fünf griechische Wörter auf, heute waren es: "verärgern/aufregen", "spazierengehen", "gehen/trampeln", "dann", "Vogel", "fliegen".
Das Bad geputzt, mit Soda und Essig. Den Boden vor der Küchenzeile gewischt. Das Katzenklo wieder saubergemacht. Ich verpasse Louis eine Entwurmungstablette und hoffe, dass sein Durchfall dadurch besser wird. Seine Brustwunde habe ich wieder gereinigt und es sieht jetzt aus, als wäre sie am Abheilen.
Begab mich am Nachmittag in das halb graue, halb sonnige Wetter, fuhr mit dem Fahrrad bis zum "end of asphalt". Es war schon halbdrei, also zu spät für eine längere Wanderung, aber ich wollte einfach in die Natur kommen, mich vielleicht irgendwo hinsetzen und etwas malen. Bald begegneten mir die Fotografin E und die Tierschützerin Ch, die mit vier Hunden unterwegs waren, und später noch J und C, die im Rucksack einen Live-Vortrag eines Yogananda-Lehrers mit sich herumtrugen, der während unseres kurzen Gespräches aus seinem Versteck gedämpft weiter redete. Der Weg hatte sich nach dem Regen in einen Bach verwandelt, und da ich meine dünnen Barfuß-Schuhe anhatte, versuchte ich mich am Rand entlang zu hanteln, hielt mich dabei an morschen Ästen und an Gestrüpp fest und sagte mir, das Schlimmste, was passieren könnte, wäre, dass ich nasse Füße bekäme. Als der Weg aber nicht besser, sondern nur schlimmer wurde, beschloss ich umzukehren.
Die Wolken hingen tief. Auf einem Felsen sitzend, machte ich eine schnelle Aquarellskizze von der Aussicht. Dann packte ich zusammen. Es war wieder Wind aufgekommen und die Dunkelheit kam schlagartig. Ein weiß leuchtender Schafsschädel lag vor meinen Füssen. Es nieselte.
Gerade sehe ich durch die Terrassentür, dass Louis die Scheibe Hundewurst frisst, die ich eigentlich für den Fuchs hingelegt hatte. Ständig sind die Katzen zum Fressen bereit, wahrscheinlich haben sie wie Menschen Angst vor dem Hunger.
Schon wieder Stromabbruch. Nur der kleine Bildschirm des Pomera leuchtet. Ich muss jetzt eine Taschenlampe finden und mich dann für die Nacht fertig machen.
Lesbos 26/11/2021
2021/11/26 13:11
Ein Tag zu Hause. Yoga, Atmen. Griechisch
Träumte in der Nacht von Venedig, einem Venedig, das ich kannte, in dem ich zuvor schon gewesen war, oft und lange, aber es hatte nichts mit dem wirklichen Venedig gemeinsam (außer dass es am Wasser lag). Es war, als hätte ich eine fertige innere Landkarte der Stadt. Ich wusste sogar, welche Stadtteile ich schlechter fand als andere (zum Beispiel den, in dem es das beste Eis gab). Ich kann nicht sagen, ob ich diese Landkarte schon früher in meinen Träumen gesehen habe, oder ob mir mein Traum nur die vielen früheren Besuche vorgegaukelt hat. Das Traumbewusstsein ist bei weitem interessanter als das Wachbewusstsein. Meine Mutter hatte sich eine Frisur aus grünen Paprikastreifen gemacht, und ich war besorgt, weil sie die Paprikas aus einem fremden Garten gestohlen hatte.
Lesbos 25/11/2021
Mein heutiges Bild riss ich aus dem Skizzenbuch und warf es in den Abfall. Ich war heute so fest entschlossen gewesen, mich irgendwo hinzusetzen und zu malen, aber es kam nie der richtige Augenblick. Zu Hause setzte ich mich dann mit einem der Fotos hin, aber es wurde nichts daraus. Frustriert, als hätte ich heute nichts zustande gebracht.
Ich fuhr gegen Mittag mit dem Fahrrad nach Petra, stellte es dort am Meer ab. Ich hatte vor, nach Anaxos zu wandern, über den Wanderweg, den ich letztes Mal gesehen hatte. Erst hatte ich wieder Probleme damit, den Eingang zum Wanderweg zu finden und schimpfte innerlich auf die Verfasser des Wanderbuchs. Dann hatte ich mich doch zurechtgefunden und begann den Anstieg zwischen Olivenhainen. Ich sammelte meine Jackentaschen voll mit Oliven, die auf dem Boden lagen. Der Weg war leicht, ein angenehmer Spaziergang mit schönen Ausblickspunkten, und ich kam bald unten bei der Straße heraus. An einer großen Schafsfarm vorbei ging ich zum Strand, wo ein Trampelpfad direkt am Wasser entlang führte. Früher war das wohl hier eine Gegend für Urlauber, jetzt ist sie ausgestorben, nicht nur der Jahreszeit wegen. Viele aufwendig und liebevoll gebaute Hotels hat man dem Verfall preisgegeben. Ständig sah ich das "Zu vermieten"- oder "Zu verkaufen"-Schild. Ich war zu k.o., um den ganzen Weg bis Anaxos zu laufen und kehrte um, in Richtung Petra. Kurze Zeit überlegte ich, ob ich vielleicht ins Meer gehen sollte, aber ich ließ es dann doch bleiben.
Gesehen: Die einsame Ziege in einem engen Gehege, mit zusammengebundenen Beinen, vor einem Berg von Kohlblättern. Der kleine aufgeregte Hund, der zwei gelangweilte Ziegen bewachen soll. In einem Olivenhain ein toter Fuchs, wie hindrapiert im Sonnenschei - er sieht ganz jung aus. Katzen, scheue und zutrauliche, gut genährte und magere. Das Hundegebell von dem Gehege des Vereins „Tierfreunde Lesbos“. Als ich ins Zentrum von Petra kam, kaufte ich mir in einer kleinen Bäckerei, in der die Verkäuferin gerade den Fußboden feucht gewischt hatte, ein Spinakópita. Dann setzte ich mich in der Abendsonne auf eine Bank am Kai und verspeiste sie.
Nachdem ich den anstrengenden Weg bis nach Hause geradelt war, nahm ich mir vor, mich heute nicht mehr von hier wegzubewegen, machte mich aber dann doch noch einmal in der Dunkelheit mit der Taschenlampe auf, um ein paar Lebensmittel zu kaufen. Theodos' Frau war heute gesprächig. Lange stand ich im Laden, während sie andere Kunden abkassierte. Wieso ich nicht ganz hierher ziehe? Ja, wieso? Aber was soll ich denn hier tun, wovon leben? Andererseits: was soll ich in Schweden tun, wovon leben? Auf dem Weg nach Hause durch die Dunkelheit dachte ich an all die Wege, die ich in meinem Leben schon gegangen bin, auf dem Weg zum Lebensmittel einkaufen. Dankbar über den Reichtum, die Vielfalt meiner Erinnerungen.
Louis Beißwunde hat sich jetzt doch infiziert. Als ich heute draufdrückte, protestierte er, und plötzlich schoss ein Strahl übel riechender Flüssigkeit heraus und über sein Fell. Ich machte ihn sauber, reinigte die Wunde, und hoffe jetzt, dass wenigstens dieses Problem zu lösen geht, ohne dass ich ihn zu Myrsini bringen muss. Er protestiert nur wenig, ist gutmütig und leicht zu handhaben, im Gegensatz zu Cleo und Punxy. Cleo verweigerte die Hundewurst nach dem Erfolg des ersten Tags, und inzwischen kriegt sie ihre Medizin in einem Klick Gourmet-Futter. Ganz aufgeregt schleckt sie das Mousse auf, in das ich das Pulver der Antibiotika-Kapsel geleert habe.
Ich schaute mir noch einen südkoreanischen Film an, "Heart", eine "Metakomödie", in der es um eine Filmemacherin geht, die einen Film dreht, der von ihren eigenen Erlebnissen handelt, d.h. eigentlich von Gesprächen über die Erlebnisse. Intelligent.
Bekam heute die Korrekturen meines Buchtext. Bis zum Jahreswechsel muss ich sie durchgeschaut haben. Beschließe, damit zu warten, bis ich wieder in Schweden bin.
Lesbos 24/11/2021
Ich hätte ehrlichgesagt nie gedacht, dass Soprano mir abgehen könnte, aber jetzt, wo ich ihn den ganzen Tag nicht gesehen habe, fehlt er mir doch. Vielleicht auch, weil ich vor einigen Stunden aus der Dunkelheit ein nicht zu identifizierendes, aber herzzerreißendes, Geschrei gehört habe, dem ich mit der Taschenlampe auf den Grund zu gehen versuchte, doch als ich näher kam, verstummte es, und ich kehrte wieder zum Haus zurück, ohne etwas ausrichten zu können.
Heute bei Myrsini, langes Warten, weil vor mir Straßenkatzen dran waren. Eine Katze mit einem entzündeten, blutig gekratzten, Auge, das nicht mehr zu retten geht. Ein abgemagerter Kater mit schlechten Zähnen, die entfernt werden müssen. Sterilisierungen. Myrsini hört Punxys Lunge ab. Es klingt nicht dramatisch, aber sie bekommt eine Spritze, zur Vorbeugung gegen Lungenentzündung. Für Cleos entzündete OP-Wunde bekomme ich eine Packung Antibiotika mit. J, der mich nach Petra gefahren hat, macht in der Zwischenzeit Erledigungen und holt mich dann wieder ab.
Es war eine seltsame Atmosphäre heute, wettermäßig. Über den Bergen türmten sich dunkle Wolkenfronten auf und es ging ein kalter Wind. Ich saß in einem Café im Dorf und machte ein wenig Büroarbeit auf dem iPad, trank einen Kaffee mit scheußlicher Dosenmilch, zum stolzen Preis von 3 Euro. Lud auch wieder ein paar südkoreanische und einen taiwanesischen Film herunter. Es war zu kalt, um irgendwo im Freien zu sitzen und zu zeichnen. Da sah ich das Licht überm Meer, so unglaublich schön, dass ich es auf einem Foto einfangen musste, das ich mir jetzt immer wieder anschaue.
Der Laden von Giorgos früherer Freundin ist jetzt geschlossen und wird verkauft. Das ist kein gutes Zeichen - sie ist schwer krank gewesen, und in den letzten Wochen habe ich sie nicht im Laden gesehen, nur einen jüngeren Mann, der etwas verloren herumsaß. Kunden kamen wohl sowieso nicht.
Ich verpasse Cleo ihre Antibiotika-Kapsel in einer Hundewurst, die Myrsini mir mitgegeben hat. Sie sieht ziemlich eklig aus, aber es funktioniert. Cleo schleckt sogar die Kapsel auf, als sie aus dem Wurstmantel herausfällt.
Wusch wieder eine Ladung Wäsche, hängte die Laken auf der Terrasse auf, wo sie vom Wind durchgepustet wurden. Wenn ich im Dunkeln zum Keller mit der Waschmaschine gehe, muss ich eine Taschenlampe mitnehmen, um nicht über die verschiedenen Stufen auf dem Weg zu stolpern, und auch für die Treppe hinunter zur Kellertür.
Klaubte unter dem Olivenbaum der Nachbarn einige frisch heruntergefallene Oliven auf, die ich dann zum Salz in die durchlöcherte Plastiktüte gab, die an einen Kochlöffelstiel geknotet in dem grünen Eimer hängt.
Sonst ist heute nichts Besonderes passiert. Malte am Abend, bin aber wieder nicht zufrieden mit dem Ergebnis. Dabei habe ich zwischendurch gedacht, ich hätte jetzt meinen Stil gefunden.
Lesbos 13/12 2021
Am Morgen wachte ich zum Plätschern des Regens auf. Machte mir Kaffee, schmierte mir Brote, packte eine Portion gesalzene Oliven in den Ruck...
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Ich widmete mich heute meinem neuen Projekt, der Ablichtung der Stadt mithilfe der miserablen Kamera in meinem Handy. Das Wetter war auch sc...
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Am Vormittag fuhr ich mit dem Fahrrad nach Petra, um etwas Spezialfutter für Tiny zu kaufen. Ihr Durchfall war leider wieder schlimmer gewor...
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1 I want to tell a story, but nothing happens. 2 I wrote a story, but it became all wrong. 3 Don't you ever get tired of your own ...