"Sometimes there's so much beauty in the world I feel like I can't take it, like my heart's going to cave in." (Ricky Fitt in "American Beauty")
Mittwoch, 25. Oktober 2017
Die Kraft, die in mir war
Es ist Abend. Es ist dunkel. Der Kaktus, dessen Namen ich nicht weiß, hat in den letzten Tagen Blüten von einem leuchtenden Rot bekommen, die bald ausschlagen werden.
Ich schreibe nur als eine Art Strategie, um zu überleben.
Ich schlage Kacheln von der Wand ab. Ich entdecke Unregelmäßigkeiten, ein Rohr, das aus der Wand ragt. Ich versuche, das Rohr abzusägen, ich säge das Rohr mit einer kleinen Metallsäge und einer Stichsäge an, aber es gelingt mir nicht, das kleine Rohrstück abzuschneiden. Ich stehe an der Spüle und strenge mich an, um dieses alte Metallstück ein wenig zurück zu stutzen, damit es mein Leben nicht mehr stört, aber es gelingt mir nicht. Man sieht nur, dass jemand sich daran ausgetobt hat, dass jemand es misshandelt hat.
Kaum bin ich zu Hause, entsteht eine Riesen-Unordnung. Ich lasse es zu, dass eine Riesen-Unordnung entsteht. Ich drehe mich um, und schon ist alles in einer Unordnung, die ich nicht mehr durchblicke.
Es ist mir nicht klar, warum um mich herum diese Unordnung entsteht, beinahe ohne mein Dazutun. Ich versuche die Unordnung in Schach zu halten. Ich zwinge mich mehrmals am Tag, zehn Dinge, die irgendwo herum liegen, an ihren Platz zurück zu legen. Ich gehe abends noch einmal durch die Wohnung, mache die selbe Übung, ich laufe mir selber hinterher, ich räume weg, was ich irgendwo habe liegenlassen. Es geht so viel Zeit dabei drauf. Ich weiß nicht, wie es dazu kommt, es ist ein Phänomen, das ich nicht verstehe, aber ich verstehe nicht viel.
Ich schreibe. Die Schultern sind steif, die Schultern sind zusammen gezogen, nach oben gezogen. Ich habe Schmerzen im Rücken, manchmal fährt ein Schmerz in meinen Rücken, der mich zusammenzucken lässt. Ich mache am Morgen Rückenübungen, bevor ich mich den Rest des Tages Tätigkeiten widme, die meinen Rücken völlig ruinieren.
Ich gehe mit Meißel und Hammer auf die Wand los. Ich gehe mit einem Spachtel auf die Wand los. Ich haue auf die Wand ein. Eine Kachel nach der anderen segelt auf den Boden, und ich höre nicht auf zu schlagen. Die Kacheln zerbrechen, und ich schlage weiter. Ich schlage so lange, bis alle Kacheln abgeschlagen sind. Dann habe ich ein völliges Desaster vor mir, eine Wand, die aus Löchern besteht, aus alten Mörtelbetten, und auch diese sind teilweise locker, so dass ich sie löse, mit Hilfe des Schraubenziehers, des Meißels.
Ich tue alles Mögliche, um zu vermeiden, dass ich Geld ausgeben muss, und am Ende muss ich mehr ausgeben, als wenn ich es von Anfang nicht vermieden hätte.
Ich kaue im Baumarkt Kaugummi. Ich versuche, an der Kasse gleichgültig auszusehen, mich nicht darum zu scheren, freundlich zu sein. Ich bin jetzt ein Bauarbeiter, der im Baumarkt ein paar Nägel kauft und eine Mörtelmasse.
Ich sehne mich nach Deutschland. Wenn ich nach Deutschland zurückgekehrt bin, werde ich mich wieder von Deutschland wegsehnen. Ich werde dann daran denken, wie ich hier in meiner Wohnung saß, wie ich an den Abenden schrieb, ich werde vielleicht sogar an den heutigen Abend denken, an die Unordnung in meiner Wohnung, an meine Entschlusskraft, an die Kraft, die in mir war.
Montag, 23. Oktober 2017
Aus dem (Katzen-)Leben
15. Sept
(Mytilini)
An einem Tag von
einer Klimazone in die nächste.
Kopfschmerzen,
Erkältung – und stundenlanges Glotzen aufs Tablet.
Morgen Haare
schneiden! Übung für den Internetkurs vorbereiten. Glasbehälter für die
Kratky-Methode (hydroponics). Völlig besessen heute von meiner Idee der „grünen
Wand“, dann wieder Gemüseanbau in der eigenen Küche, auch im Winter.
Von einer
Homepage zur nächsten. Kauferregung, am liebsten sofort!
Esse in einem
kleinen Lokal, Fava, weiße Bohnen, kleine Fische, Salat, Wein, alles zusammen
18 EU. In Brüssel kaufe ich ein Sandwich und eine kleine Waffel, später im
Flugzeug gibt es vegetarisches Essen für mich: Kartoffelbrei mit Bohnen und
Möhren.
Mein Gepäck war
nicht nach Mytilini mitgekommen, es wurde mir später ins Hotel gebracht. Deshalb musste ich wach bleiben, obwohl ich furchtbar müde war, nach einer
kurzen Nacht, trotz Schlaf im Flugzeug.
Vom Hundertsten
ins Tausendste. Ja, eine Kratky-Station mit T5-Leuchte, vielleicht aber auch
einfach eine Blumen-/Pflanzenwand ohne unmittelbaren Nutzen. Vielleicht auch mehr
Beleuchtung im Schlaf-/Wohnzimmer?
Der Bus geht
morgen um 9:30. Es ist jetzt 23:00. Um sieben Uhr aufstehen, duschen, packen,
dann runtergehen, frühstücken, wegen den Zimmern verhandeln…
16. Sept (Mytilini)
Heute muss ich
das Hotelproblem lösen, mir die Haare schneiden lassen, mich in Molivos
installieren, meine Gedanken ordnen, den Kurs weiter planen.
Ich habe
eigentlich Urlaub, muss nichts Besonderes leisten, aber ich möchte
innerlich/äußerlich ins Gleichgewicht kommen. Meditieren.
Täglich trainieren, gehen, schwimmen. Regelmäßig fasten, wenn auch nur
für 12 Std./Tag, zwischen 8 Uhr abends und 8 Uhr morgens. Vielleicht auf
Milchprodukte verzichten, keine Süßigkeiten, nur mäßig Alkohol.
Ich schlief bis 6
Uhr, dann lag ich hauptsächlich wach im Bett. Suchte nach der Creme, zur
Behandlung von Mückenstichen, schmiss alles einfach auf den Boden.
Ich öffnete die
Terrassentür. Die Morgenluft ist etwas kühler.
Ich saß gestern
auf einer der kleinen Straßen im Zentrum, sah den Leuten zu, die vorbei kamen.
Familien, Freundinnen, Mütter mit Kindern. Männer alleine und miteinander.
Keine Idylle. Genervte Gesichter, weinende Kinder, eine Mutter, die ihre kleine
Tochter am Haar zieht.
18. Sept (Molivos)
In den ersten
zwei Tagen habe ich
-
mir
Sorgen um den Kater Claudius gemacht (wegen einer bösen Wunde am Kopf)
-
ein
Paar Jeans, die mir zu eng waren, zu Bermudas umgewandelt
-
zwei
Lampen ausgewechselt (Birnen)
-
zweimal
im Meer gebadet
-
viel
Salat und Schafskäse gegessen
-
bei
Mary einen Hamam-Salat gegessen
-
die
Armbänder für KP inspiziert
-
Giorgos
auf der Straße getroffen
-
Katzenfutter
gekauft
-
mir
die Haare schneiden lassen
-
einen
Motorroller gemietet
-
mir
Gedanken über das griechische Leben gemacht
-
ein
paar Mal bei Milelja Brunnenwasser geholt
-
meine
Erkältung mit Honig behandelt
-
frische
Feigen gegessen
- Schlief auch in
der zweiten Nacht gut und acht Stunden lang. Freute mich, dass Claudius am
Morgen vor der Tür stand. Bin hin- und hergerissen, ob ich versuchen soll, ihn
zum Tierarzt zu bringen oder ob ich der „Natur“ ihren Lauf lassen soll. K schlug gestern Selbstbehandlung vor, mit Jod und Silbersalbe.
19. Sept
Habe einen großen
Fehler gemacht u gestern mit K nachmittags Kaffee u Kuchen gegessen u abends
dann 2 Gin Tonic getrunken. Resultat: eine weitere Nacht mit sehr wenig Schlaf.
Die Gedanken kreisen um Claudius – wie soll ich ihn in den Käfig bringen? Und
wie dann nach Petra? Geht es nur um Geld? Offensichtlich. – Ich könnte ein Auto
für zwei Stunden mieten, es ist denkbar. Ihn mit dem Taxi hinschicken? Noch
einen Tag warten?
Am Morgen (jetzt)
kommt er nicht, ist bis jetzt noch nicht aufgetaucht. Hat er sich irgendwo zum
Sterben hingelegt? Soll ich mich überhaupt einmischen, aufspielen als
„Retterin“? Fühle mich in diesen Dingen allein, auf mich gestellt.
Trinke jetzt
Kaffee. Baltis hat sich ein Eckchen auf dem Zweitbett auserkoren. Immer dieser
Schmerz, mit den Katzen verbrunden: die Sicherheit, die er sucht, kann ich ihm
nicht geben. Wieviel ist Projektion, wieviel Wirklichkeit? Manchmal sehe ich
die Katzen dasitzen, ganz offensichtlich befinden sie sich in einem meditativen Zustand. Zwar
versuchen sie Schmerz zu vermeiden, aber sie akzeptieren ihn dann auch, ohne zu
klagen.
Meine Tage mit
K: „Wenn man zweimal weggegeben
wurde, sieht man zu, dass das nicht wieder passiert.“ Sie verlässt ihre Männer,
ohne Reue, ohne noch einmal zurückzublicken. So sagt sie selbst.
20. Sept.
- Claudius im
Käfig und in Petra, aber er entkommt, läuft Amok im Keller der Tierarztpraxis.
Ich schreie Michalis zu, er soll die Tür zumachen. M rennt die Treppe hoch (wie
in Zeitlupe, kommt es mir vor), schafft es gerade noch rechtzeitig.
- Mit den
riesigen Handschuhen der Praxis bekomme ich keinen guten Griff, Claudius beißt durch
sie hindurch, völlig in Panik, reißt sich los – ich muss ihn fallen lassen, das
Ganze ist absurd – wie soll ich ihn in die Riesenbox hineinbringen?
- In der anderen
Box liegt eine hübsche kleine Katze, die an den Hinterbeinen gelähmt ist. Mal
sehen, ob sie morgen noch Reflexe hat, sagt die Tierpflegerin, die selber
völlig kaputt aussieht, ausgemergelt, mit großen Zähnen in einem ungesund
wirkenden Gesicht, Gabi aus Deutschland, die sich mit einer etwas schrillen
Stimme darüber beschwert, dass manche Tiere sich nicht helfen lassen wollen.
- Sie stellt eine
Falle auf, mit Futter u Wasser, daneben ein Katzenklo, in der Hoffnung, dass
Claudius in der Nacht in die Falle geht, auf der Suche nach Futter. Sperrt die
Treppe ab mit einem Riesenkarton.
- Mein Szenario:
Er springt über den Karton, passt bei der Tür den Augenblick ab, in dem die
Tierärztin morgen früh öffnet, flieht, verschwindet, in eine fremde Umgebung,
in der er sich nicht auskennt. Findet vielleicht den Weg zurück in sein altes
Revier, aber verletzt, geschwächt etc., wird vielleicht beim Hinauslaufen von
einem Auto überfahren.
- Oder die Falle
funktioniert nicht, löst aus, ohne dass er drin ist. Oder er holt das Futter
mit seiner Pfote durch das Gitter. Die Tierpflegerin war so zittrig, selber so
aufgebracht, fingerte mit der Falle herum, ich schaute zu.
- Eine dritte
Möglichkeit: Alles geht gut, Claudius sitzt in der Falle, hat sich beruhigt.
Wird behandelt und kastriert, kommt heute Abend nach Hause.
Ich habe Nachbarn
bekommen, ein Ehepaar aus Österreich. Ein
Aschenbecher steht auf dem Terrassentisch, ich höre jemanden husten.
22. Sept.
Holte Claudius am
Mittwoch ab, wir fuhren ihn mit dem Roller nach Hause, dann ließ ich ihn über
Nacht in der Box – er sollte sich „seinen Rausch ausschlafen“, so Gabi.
(Remmidemmi in der Nacht)
Um kurz vor sechs
die Gittertür geöffnet, er rannte hinaus (dann den ganzen Tag vergeblich auf ihn
gewartet).
"Eine wildere Katze haben wir noch nie in der Praxis gehabt", sagte Gabi. "Und keine intelligentere", sagte die Tierärztin.
Natürlich ging er nicht in die Falle - sie mussten ihn mit einer Spritze betäuben, um ihn einfangen zu können.
"Eine wildere Katze haben wir noch nie in der Praxis gehabt", sagte Gabi. "Und keine intelligentere", sagte die Tierärztin.
Natürlich ging er nicht in die Falle - sie mussten ihn mit einer Spritze betäuben, um ihn einfangen zu können.
Jetzt Warten auf
Claudius, Cleo, Caesarion.
Das frische
Aufwachen am Morgen, nach dem Regen in der Nacht – als wäre eine große
Bedrückung weggewaschen.
23. Sept.
Cleo ist
gekommen. Sofort Katzenkrieg. Afro greift Agnes an und vertreibt sie. Blut
neben der Türmatte. Baltis kommt am Morgen, aber Cleos
Ankunft verschreckt ihn – er drückt sich in die Ecke. Cleo geht sofort aufs
Katzenklo, ohne zu „müssen“. -
Jetzt kommt
Baltis vorsichtig herein, legt sich auf „seinen“ Platz. Cleo weg. Afro lugt ins
Haus, aber ich stampere sie hinaus. Gestern zu spätes Abendessen.
Heute in der Dusche hatte ich die Idee, dass die Ich-Erzählerin E einsperren
könnte, oder dass sie in einer völligen Misere landet. Sie zieht von zu Hause
aus, landet auf der Straße, lässt sich treiben.
Wir aßen Fava,
Rote Bete, Lamm, gefüllte Champignons. Es war zu spät und ich war viel zu satt,
als ich nach Hause kam.
25. Sept.
Immer noch kein
Claudius – hoffe, dass er irgendwo an Futter kommt, dass ihn niemand erschlagen
hat, dass er seine Naht nicht aufgebissen hat (oder sonst irgendwelche
Komplikationen aufgetaucht sind), dass kein anderer Kater ihm eins gewischt
hat.
Habe gestern
Kommentare geschrieben. Saß im Café Balkonaki. Zwei kleine Jungs (Zwillinge)
mit starken Brillengläsern saßen mir gegenüber an einem Tisch (nebeneinander),
tranken Fruchtsmoothies mit Strohhalmen (jeder Smoothie eine andere Farbe). Die
Großmutter, die genauso starke Brillengläser hatte und mit den Eltern an einem
anderen Tisch saß, sah ihnen derweilen verzückt zu.
Der Alte vom
Perikles ist gestorben, in der Nacht, nachdem wir dagewesen sind. Andere, die
länger da waren, erzählten davon, dass er später am Abend
gesungen und getanzt hat, einen Sologesang, bei dem es plötzlich mäuschenstill gewesen
sei im Lokal. Um 3 Uhr habe er dann seine Gummistiefel angezogen, um nach den
Schafen zu schauen. Später erfuhren wir, dass er am Morgen nicht mehr aufgewacht
war. Die Beerdigung fand gestern statt. Ich sah den Sohn, als ich vom Meer kam, mit
seinem wilden, grau gesprenkelten Haarschopf, neben der kleinen Wegkapelle. Ein
Auto fuhr an den Wegrand, der Fahrer beugte sich hinüber, um ihm durch das
Beifahrerfenster die Hand zu schütteln. Er wurde 78. Kein richtiges “Alter“, aber alle
sagen auch, „was für ein Abgang, was für ein schöner Tod“!
Ich ging im
Sonnenuntergang baden u dann früh ins Bett.
NB: Eine Woche später tauchte Claudius wieder auf. Seine Kopfwunde heilte.
NB: Eine Woche später tauchte Claudius wieder auf. Seine Kopfwunde heilte.
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