Mittwoch, 15. Oktober 2014

Am Abend setze ich mich

Am Abend setze ich mich, um noch etwas zu schreiben, aber ich gebe nach einigen Zeilen auf.


"Ich bin nur wenige Wochen alt und blinzle ins Licht, das durch unser Wohnzimmerfenster hereinfällt. Mein Onkel hält mich behutsam auf seinem Arm, neben ihm steht seine hochschwangere Frau. Sie denkt, während sie uns ansieht, vielleicht an das Kind, das sie selber erwartet, und in ihm sieht sie den zukünftigen Vater dieses Kindes. Ich habe das Foto schon so oft betrachtet, dass es kein Gefühl mehr in mir hervorruft. Mein Onkel ist tot, das Kind auf seinem Arm gibt es nicht mehr. Was wir für eine Erinnerung halten, ist nur ein Wiederaufguss von etwas, das wir schon so oft wiederholt haben, dass es all sein Leben, all seine Kraft verloren hat."



"Ich stehe vor unserem Haus, ein Mietshaus aus den 60er Jahren. Es ist ein sonniger Frühlingstag. Ich habe einen Kreisel bekommen und versuche ihn zum Kreiseln zu bringen, aber es gelingt mir nicht. Mein Vater hat ihn mir geschenkt, weil er ihn an seine Kindheit erinnerte. Hat mein Vater mir später gezeigt, wie man den Kreisel zum Kreiseln bringt, hat er ihn selber zum Kreiseln gebracht? Ich weiß es nicht mehr." 



[Meine Mutter erzählt mir am Telefon, dass der Bruder meines Vaters ein Bild des Elends ist. Er sitzt in einem Rollstuhl unter einer Decke und kann nur eine Hand bewegen. Man kann ihn kaum verstehen, wenn er sich bemüht zu sprechen. 'Aber er hat sich gefreut, uns zu sehen. Und das Heim, in dem er wohnt, ist sehr schön.']

Schlüsselthema

Als ich den Schlüssel ins Schloss stecke, lässt er sich nicht umdrehen. Unausgesprochen schwebt in diesem Augenblick die Vermutung im Treppenaufgang, dass ich vielleicht nicht in der Lage bin, einen Schlüssel richtig im Schloss umzudrehen oder dass meine Art und Weise, den Schlüssel ins Schloss zu stecken und umzudrehen, dazu geführt hat, dass das Schloss kaputt gegangen ist. Die zwei Personen in meiner Begleitung sind nicht in der Lage, mir bei meinen Versuchen zur Seite zu gehen, die eine, weil sie gelähmt, die andere, weil sie blind ist. Der Schlüsseldienst diagnostiziert schließlich, dass ein Sandkörnchen in das Schloss geraten ist (das sich übrigens schon lange nur schwer bedienen ließ, wie ich später höre). Die Stunden des Wartens im Treppenaufgang erscheinen jedenfalls wie eine Bestätigung des Schlüsselthemas, das sich durch meine gesamte letzte Woche gezogen hat (verlegte, scheinbar verloren gegangene Schlüssel, in Verwahrung genommene Schlüssel, stundenlanges Suchen nach Schlüsseln, nicht funktionierende Generalschlüssel, mirakulöses Auftauchen von Schlüsseln an Orten, an denen ich bereits gesucht hatte etc. etc.).

Samstag, 11. Oktober 2014

Der Tag der Ordnung

Heute war es frühmorgens wieder mal an der Zeit, schlaflos im Bett zu liegen, mit großen Augen und einem Gehirn auf Hochtouren.
Ansonsten war es ein Tag, an dem ich beschloss, endlich Ordnung zu schaffen in meinem Leben, teils dadurch, dass ich keine Neuzugänge mehr dulde und teils dadurch, dass ich das bereits Vorhandene in ein System bringe.
(Dass mir der Computer abstürzte, nachdem ich den Beschluss gefasst hatte, verschaffte mir auf jeden Fall einen sauberen Neuanfang.)
Dann war Arbeitstag auf unserem Hinterhof. Mit Spaten, Heckenscheren, Besen, Unkrautessig und Löwenzahnstecher sowie mit Putzlappen und Schrubber machten wir uns an die Arbeit, entfernten seltsame Pflanzen und Taubendreck sowie alles, was sonst noch so herumstand und nicht offensichtlich gebraucht wurde.
Leuchtbirnen wurden eingeschraubt, Speicherabteile markiert, Sommermöbel weggeschlossen, Holzdecks abgespritzt und tote Büsche ausgegraben.
Der Tag endete harmonisch, mit Familienpizza und dem Plan, im Frühjahr auf dem Hof ein ganzes Lamm zu grillen.
Einen Metallschrott-Sammler konnten wir auch glücklich machen, mit dem alten Gestänge eines Gartenzelts und einer Pizzaschnitte. 

Lesbos 13/12 2021

Am Morgen wachte ich zum Plätschern des Regens auf. Machte mir Kaffee, schmierte mir Brote, packte eine Portion gesalzene Oliven in den Ruck...