Sonntag, 30. Oktober 2011

FIRE

Ach schon wieder verlier ich mich so sinnlos zwischen den Zeilen, zwischen den Stunden, zwischen mir und mir.


"Everything that generates warmth, vitality, passion, and creativity is an expression of fire. Where is fire in balance, creating energy but not burning you or anyone else up? Where is it lacking, leaving you feeling desolate and alone? And where is it too strong - where do you feel fried or burned out?" 
(Ken McLeod, Wake Up To Your Life)



Donnerstag, 27. Oktober 2011

Human beings with feelings

"People turned out to be alive. Hitherto he had supposed that they were what he pretended to be - flat pieces of cardboard stamped with conventional design - but as he strolled about the courts at night and saw through the windows some men singing and others arguing and others at their books, there came by no process of reason a conviction that they were human beings with feelings akin to his own. He had never lived frankly." (E.M.Forster: Maurice)


Ich glaube, dass ich das verstehe

Der Freund erzählte:

Meine größte Lebenskrise hatte ich, als meine Freundin mich verließ. Ich erinnere mich, wie ich eines Tages mit meinen Einkaufstüten nach Hause kam und auf die Knie sank, weil ich so weinen musste. Aber im gleichen Moment war ich auch wahnsinnig froh.

(Er lachte und machte eine Pause, und ich wartete gespannt auf die Fortsetzung.)

Er sagte, ich war so froh, weil ich mich in meiner Traurigkeit lebendig fühlte. Verstehst du das?

Ich sagte, ich glaube, dass ich das verstehe.

Mittwoch, 26. Oktober 2011

I love you dearly, deeply

Sie sagte, ich muss die Menschen, die ich liebe, auch immer irgendwie quälen, und ich habe bisher noch nicht wirklich begriffen, warum das so ist.

Montag, 24. Oktober 2011

may I be happy

To the degree that you have loving-kindness for yourself your loving-kindness for others is unblocked. (Pema Chödrön)

Sonntag, 23. Oktober 2011

Freund!

"Schreibst du noch?", fragt er.
Ich gehe ins andere Zimmer, um meine Schuhe in den Koffer zu packen.
"Nein", sage ich nach einer Pause.
Er ist mir gefolgt.
"Lügst du noch?", fragt er.
"Ja", sage ich nach einer noch längeren Pause und ziehe den Reißverschluss des Koffers zu.
"Schreibst du noch?", fragt er.

(Er steht an einem Sonntag um halbacht mit seinem Fahrrad vor der Buchhandlung, damit wir noch zusammen frühstücken können, bevor ich fahre.)

Ausflug mit S (4) II

1. Das Kind hat seit kurzem ein größeres Fahrrad, mit Fahne, auf dem es schon ganz gut fahren kann. Nur wenn es still steht, fällt es manchmal um, weil es dann kippelt oder sich nach links und rechts hinunter bückt, um etwas vom Gehsteig aufzuheben oder am Wegrand zu pflücken. Ein Blatt. Ein paar "pinkene" Beeren. Eine Sammlerin, sagt B. Schöne Welt, sagt das Kind. Jedenfalls glaube ich das zu hören. Hat sie das wirklich gesagt, fragt B.

2. Wo wohnst du, fragt mich das Kind. In Schweden, sage ich. Ich bin einmal in einem anderen Schweden gewesen, ruft das Kind, das mit dem Fahrrad schon ein Stück vorausfährt, mit K! K ist ihr großer Bruder, beinahe 18, er wohnt aber woanders, und sie sehen sich kaum. B sagt, sie erzählt andauernd, dass sie mit K irgendwo gewesen ist. Warum also nicht auch in einem anderen Schweden?

3. Auf dem Flohmarkt für Kinderkleidung kauft B eine Winterjacke, zwei Hosen, eine Baumwolljacke und ein T-Shirt für das Kind. Das Kind verschwindet immer wieder auf den Spielplatz, und jedesmal, wenn wir nach ihr Ausschau halten, gibt es diese kleine Schrecksekunde, diesen Mikroteil einer Sekunde, in dem wir sie nicht entdecken können, bis wir sie schließlich sehen, z.B. platt auf dem Bauch auf dem Dach des Kletterhauses.

4. Das Kind fragt mich vom Hintersitz des Autos her, wie lange werden wir uns treffen? B fragt, was meinst du damit? (B ist gerade ein wenig gereizt, weil jemand ihren Rückspiegel kaputtgemacht hat und der jetzt nur an einem dünnen Fädchen am Auto hängt). Aber ich glaube, dass ich weiß, was das Kind meint. Ich sage, ich komme noch mit euch in den Park, und dann fahre ich woanders hin. Und dann treffen wir uns nächstes Mal wieder, wenn ich nach Berlin komme. Wann darf ich ein Stück von deinem Kuchen probieren, fragt das Kind.

Samstag, 22. Oktober 2011

Ausflug mit S (4)

1. Wir lassen das Kind auf eigenen Wunsch eine Weile in dem dunklen Vorführungsraum zurück, wo sie sich eine Kolonialoper anschaut und dabei versucht, sich auf dem alten Kinoklappsitz so weit wie möglich zusammenzufalten, indem sie die Sitzfläche hochklappt und ihre Beine in die Luft streckt.

Die Ausstellung von Ulrike Ottinger im Haus der Kulturen der Welt

2. An der Bushaltestelle fragt das Kind, wer größer ist, B oder ich. Wir sind genau gleich groß, antworten wir. Wenn aber B sich auf die Bank stellt? Dann ist sie kleiner als ich, wenn ich auf das Dach der Bushaltestelle klettere, antworte ich. Wie willst du denn auf das Dach kommen, fragt B. Ich klettere auf deine Schultern, sage ich zu ihr. Das Kind trötet inzwischen durch das zusammengerollte Poster und wünscht sich, dass man das Ohr an die andere Öffnung legt.

3. Als wir auf dem Heimweg sind, das Kind, das unsere Hände halten will, zwischen B und mir, sagt sie plötzlich: Ratet mal, wen von euch ich lieber habe? Hm. Keine Ahnung. Beide! sagt sie triumphierend und genießt unsere Erheiterung (und Erleichterung).

4. Für nach dem Essen ist Schokolade versprochen. Vorher tanzt das Kind im Wohnzimmer zu Weihnachtsmusik, mit Schleier, Schleppe und viel Schmuck. Ihren Ballett-Tutu hat sie sich als Krone auf den Kopf gesetzt. Am Esstisch wird Reis und Gemüse aufgetragen. Das Kind stochert im Essen, findet den Reis zu gelb und zu heiß, pickt die Möhrchen heraus und isst sie und fragt nach einer Weile inneren Kampfes: Darf ich die Schokolade schon neben den Teller legen?

5. Das Kind möchte die kleinen Katzen sehen. Ich blättere die kleinen Katzen in meinem Fotoapparat her. Sie sind aber schon nicht mehr klein, sage ich. B zeigt mit den Händen, wie groß die Katzen schon sind. Das Kind betrachtet die Katzenbilder mit entzücktem Lächeln. Und jetzt die große. Ich suche nach der großen Katze in der Kamera. Zoomen, bitte. Und jetzt noch mal die kleinen. Und noch mal die große.

Freitag, 21. Oktober 2011

3 schöne Menschen in Berlin

1. die Friseuse (die ganz einfühlsam immer wieder fragte, ob alles in Ordnung sei und sich alle Zeit der Welt nahm in diesem nach Fließbandprinzip organisierten Salon in der Akazienstraße)

2. der Fußpfleger (der mir erzählte, wie er einmal als kleiner Ex-DDR-Steppke in Altötting einer alten schwarzgekleideten Frau angeboten hatte, ihr beim Kreuztragen zu helfen und mit den Worten "schleich di" weggestampert wurde)

3. der Kinokartenabreißer (der mir das Gefühl gab, wirklich ganz persönlich willkommen zu sein in diesem riesigen, fast vollbesetzten Kinosaal)

'Place your fearful mind in the cradle of loving kindness' (tibetisch: maitri)

Wir sind eine Mischung von etwas, das eigentlich gar nicht so schön ist und doch zutiefst geliebt.

Wer bin ich - die Vogelmutter oder die Vogeljungen? Antwort: Beides.

Mittwoch, 19. Oktober 2011

Aomames Gesicht

"Die meisten Menschen vermochten Aomames Gesicht nicht richtig zu erfassen. Kaum hatte man den Blick abgewandt, konnte man schon nicht mehr beschreiben, wie sie aussah. Obwohl sie ein ausgesprochen individuelles Gesicht hatte, blieben seine charakteristischen Merkmale aus irgendeinem Grund nicht im Gedächtnis haften. In dieser Hinsicht glich sie einem Insekt mit der ausgeprägten Fähigkeit zur Mimese. Ihre Farbe und Form zu verändern, sich dem Hintergrund entsprechend zu wandeln, möglichst wenig aufzufallen, nicht so leicht wiedererkannt zu werden, genau danach trachtete Aomame, schon seit frühester Kindheit war das ihr Schutzmechanismus." (Haruki Murakami, IQ84)

Berlin my love

1. In der U9 vom Zoologischen Garten zum Friedrich-Wilhelm-Platz saß mir gegenüber ein junger Japaner, mit kurzen Haaren, Jeans, Turnschuhen, beiger Jacke. Was meine Aufmerksamkeit erregte, war der Bleistiftstummel, den er zwischen den Fingern drehte, ein kurzer, schwarzer Bleistiftstummel, offensichtlich mit einer weichen Mine, und von Hand gespitzt. Dann sah ich auch schwarze Flecken an seinen Händen und Unterarmen, wie von Tusche oder Tinte. Auf seinen Knien lag eine Baseballkappe. Nach einer Weile steckte er den Bleistift weg. Er legte die Baseballkappe zusammen und drückte sie fest gegen seine Augen. Die Ellbogen hatte er auf die Knie gestützt. Er saß eine Weile so da, und ich sah, dass auf der Baseballkappe ein gelber Farbfleck war. Er sah nicht traurig aus, eher auf eine verzweifelte Art amüsiert von sich selber. Ich hätte ihn lange ansehen können. Er strahlte eine solche Einfachheit aus. Er hatte keine Tasche bei sich, fiel mir auf, und plötzlich wurde mir bewusst, dass ich nie das Haus ohne Tasche verlasse - dass die Tasche irgendeine Rettungsfunktion hat, dass sie einen Schutz vor der Leere darstellt.

2. Auf den Ansichtskarten im Berliner Buchladen, in dem ich wieder wohnen darf, betrachte ich Bilder von Berlin 1930, Berlin 1944, Berlin vor und kurz nach dem Mauerfall. Diese so oft verletzte Stadt ist vielleicht wegen ihrer Verletztheit, wegen ihrer Fähigkeit zum Neuanfang, ein Sehnsuchtsort für viele Menschen geworden. In Berlin ist es völlig in Ordnung, so zu sein, wie du bist, mit all deinen Verwüstungen, deinem verheerten Innern, mit all deinen Traumen, deinen Spleens, deinen falschen Entscheidungen, deinem Misslingen, deiner Armut. Berlin ist die einzige Stadt, die ich lieben kann, weil sie nie versucht, sich zu einer anderen zu machen, weil sie ihre Schwächen offen zeigt, weil sie gar nicht anders kann, als völlig, hundertprozentig ehrlich zu sein, weil sie nie "passend" ist oder versucht zu glänzen. Meine verdreckte, heruntergekommene, motzige, übernächtige Geliebte.

3. In einem Artikel in der Lettre International las ich, noch in Malmö, vom Verschwinden der Spatzen aus den deutschen Städten. In einem Absatz wird erwähnt, dass Berlin dieses Problem nicht hat, Berlin "mit seinen vielen unbebauten Grundstücken, vernachlässigten Bahndämmen und unrenovierten Altbauten", wo die Spatzen Lebensraum und Futter finden. Vor den Imbissbuden nahe des Berliner Hauptbahnhofs hüpfen diese kleinen geflügelten Stadtbewohner einem vor den Füßen herum und stellen sich auch fordernd auf den Tisch. Wenn einer einen großen Brösel erwischt, fliegt er sofort damit ein Stück weiter weg, damit er ihm nicht von den anderen Spatzen streitig gemacht wird. Keiner der Imbissbudenbesitzer versucht die Spatzen fortzujagen, es wäre auch ganz vergeblich. Auch ein etwas größerer Vogel mit gesprenkelter Brust sitzt vor mir auf der Tischplatte und sieht mich fordernd an. Von meiner Hand will er den Brösel aber auch wieder nicht picken.

4. Ich vergesse völlig die Zeit im Hamburger Bahnhof, tauche ein in die 80er, die 70er Jahre, als Ulay Spitzwegs "Armen Poeten" aus der Neuen Nationalgalerie stahl und dann in Kreuzberg in der Wohnung einer türkischen Gastarbeiterfamilie aufhängte, als Marina Abramovic sechs Stunden lang nackt und mit einem eingehüllten Kopf zu Trommelschlägen tanzte, bis sie vor Erschöpfung zusammenbrach, als Joseph Beuys sich mit einem Koyoten in einen Raum einschließen ließ*, als er in Japan zusammen mit einem strumpfsockerten Nam Jun Paik ein Konzert gab, das hauptsächlich aus den ausgestoßenen Lauten "ö ö ö" bestand (Coyote III), als er in einem Interview mit einem japanischen Anthropologen vom Ätherleib und Astralleib des Menschen, der Pflanzen und der Tiere sprach, als Bruce Nauman sein "Room with My Soul Left Out, Room That Does Not Care" bauen ließ und Lil Picard berichtete, welche Funktion die Perücken in ihrem Leben hatten.


Ausstellungsbesucher klettern in die in den Luft angesiedelten Gärten von Tomás Saraceno, kriechen auf der Plastikhaut herum, legen sich auf den Rücken, legen ihre angestammten Rollen ab.


Ich bin wieder mal so glücklich, so glücklich, ich laufe herum, dankbar über eine Welt, in der man die Bedeutung dieser Dinge akzeptiert und sie honoriert, ihnen Raum zugesteht, Respekt zollt. Kaum verlasse ich den Hamburger Bahnhof, stürzt die Verrücktheit der normalen Welt mit ihren Gesetzen des Kaufens und Verkaufens, des Gekauftwerdens und sich selber Verkaufens wieder über mich herein.

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*Beuys, der wunderbare Beuys, mit dem Koyoten:

Montag, 17. Oktober 2011

Gespräch im Baumarkt

Mann und ich, drücken uns vor den Regalen mit den Klos herum. Er hat schon ein ordentlich verpacktes Klo auf seinem Wägelchen stehen.
Er: Das ist zwar eine Scheiß-Sache, aber man muss es trotzdem haben.
Ich: Sie haben sich ja schon entschieden (deute auf das Klo auf seinem Wägelchen).
Er: Schon, aber ich brauche zwei. Die Frage ist, soll das Rohr nach hinten gehn oder nach unten? Ich glaube, ich nehme von jedem eins.
Ich: Und wieso haben Sie das genommen und nicht das daneben? (Deute mit dem Finger auf das Klo, über das ich nachgrüble, weil es einen "Aktionspreis" hat)
Er: Wegen der Frischefunktion. (Er deutet mit dem Finger auf das kleine Duftbeutelchen, das über "seinem" Ausstellungsklo angebracht ist und das man in eine Spezialhalterung im Spülkasten versenken kann.)
Ich: Ah. Dann viel Glück noch.
Er: Danke, gleichfalls.

Heart of Sadness

"This genuine heart of sadness can teach us great compassion. It can humble us when we're arrogant and soften us when we are unkind. It awakens us when we prefer to sleep and pierces through our indifference. This continual ache of the heart is a blessing that when accepted fully can be shared with all."

(Pema Chödrön)

Sonntag, 16. Oktober 2011

Nach der Lektüre von Arno Grün

Nach meinem Verständnigs von Arno Grün sind hinausgeschriener Schmerz und Wut jedenfalls ein Zeichen für einen Seelenrest, für das Eingeständnis, verletzt worden zu sein. Die Menschen, die nicht in der Lage sind, das idealisierte Bild, das sie von ihren Eltern haben, aufzugeben, sind oft zu erstaunlich gefühlloser Gewalt gegenüber Fremden in der Lage (das ist der kaschierte Hass auf das Eigene, auf sich selbst und damit die internalisierte Lieblosigkeit der Eltern). 

Der Wahnsinn der Normalität – Realismus als Krankheit. Eine grundlegende Theorie zur menschlichen Destruktivität; 1987

Was sich schreibt.

"Endlich bin ich allein. Endlich kann ich schreiben. Endlich bin ich in dem unendlichen Raum meiner Skizzen.

Ich kann nur diese Skizzen schreiben. Und wenn ich es zulasse, dass sie sich schreiben, dann bin ich glücklich."

(Einziger Eintrag in meinem Skizzenbuch im Jahr 2010)

Schieläugiges Leben

"my whole cockeyed life - 
what a beautiful failure"

(Alison Luterman)

Donnerstag, 13. Oktober 2011

enter into the mystery of life

"To live authentically, we have to stop trying to avoid suffering and death by looking for meaning. We have to enter into the mystery of life."

- Ken McLeod: Wake Up To Your Life

dann ist das weinen das wichtige

es ist fürchterlich, dass du aus malmö wegziehst, sagte ich zu j, während ich im schatten neben dem haus vertrocknete blüten abschnitt, es ist wirklich fürchterlich, ich weiß nicht, was ich machen soll, wenn du nicht mehr hier bist.

j sagte, ich träume oft, dass ich weine, und dann ist das weinen das wichtige, und der grund ist nicht mehr so wichtig. sie hat von mir und s geträumt und und dass wir eine auseinandersetzung hatten und dass er sagte, vielleicht sollten wir einfach alles sein lassen, und das war so schlimm, sagte j, dass ich weinen musste.

einen balkon, sagte sie, als sie von dem ort redete, an den sie umziehen wird, ich möchte gern einen balkon haben, oder einen kleinen garten. später dann redete sie von dem haus, das sie einmal haben wird und einem hohen baum mit einer sehr langen schaukel.




Mittwoch, 12. Oktober 2011

Die Zeit tropft unbarmherzig fort

Die Zeit tropft unbarmherzig fort. In meinem Leben ist ständig etwas repa­raturbedürftig, ständig muss ich links und rechts schrauben und flicken und ausbessern und spachteln und nachschneiden, nähen und nageln, und ich wünsche mir die Gelassenheit eines Zen-Mönchs, habe sie aber nicht. 

Dienstag, 11. Oktober 2011

Ist das ein Krankheitszustand? (Aus dem Archiv)

"Kaum hatte ich die Augen geöffnet, war um mich herum alles grau und kalt, was bedeutete, Zeit zum Aufstehn, Katzenfutter aus der Packung löffeln, Kaffee aufgießen, anziehen, Haferbrei löffeln mit der Hand auf der Zeitung, wo ich heute nur die Zwischenräume zwischen den Zeilen lese, Zähneputzen, Tasche packen und tschüs, denn Monica wartet am andern Ende der Stadt auf mich, damit ich mich in ihren Sessel plumpsen lasse und ihr die Ohren vollquassele. Wie es jetzt aussieht in meinem Leben, fragt sie: gut alles sehr gut triumphiere ich aber warte schon darauf, dass hinten das Geröll nachrutscht in der Grube, wo ich jeden Tag vor mich hinschufte mit meiner Stirnlampe, und dann besteht die Gefahr von Einsturz und Absturz, ein Absacken oder Hinuntergleiten, was mir Angst macht, Monica. Deshalb trug ich heute auch meine Arbeitshosen mit insgesamt achtzehn Taschen für Schraubenzieher, Hammer, Zollstock, Telefon, Taschentuch und Zange etc. 


Ich kenn das Muster auf Monicas Teppich auswendig, inklusive Zentimeter- und Millimeterangabe und Materialstärke und Abnutzungsgrad, und vor dem Fenster bauschen sich die Bäume vorm künstlichen Himmel. Fünfundvierzig Minuten lang hab ich ihre Ohren gemietet und der Minutenzeiger hat es verdammt eilig, die 270° hinter sich zu legen. Wieso ich plötzlich Kopfweh krieg, als wäre alles, was aus meinem Mund hinausspaziert, eine große Lüge, Verzeihung, Monica, aber mir wird übel, und nehme eines der säuberlich aufgetürmten Taschentücher, die für Tränen gedacht sind, wische mir aber damit den Schweiß von der Stirn, die Diagnose kann ich mir schon selber stellen, aber können Sie mich verstehn Monica, ich meine wirklich und tief? Eigentlich möchte ich irgendwann mit Ihnen diskutieren, woher mein Bedürfnis kommt, beinahe jedes geschriebene Wort wieder durchzustreichen, so dass es ganz unsichtbar wird, mit kräftigen schwarzen Kreisen und Strichen und einer Hand, die die Kraft zum Töten hätte. Meine Schrift ist nicht schön, nie schön gewesen, und ich habe in der Schule alles versucht, um eine schöne Schrift zu bekommen, jedoch ohne Erfolg.


Kennen Sie die Schülerinnen, die die Überschriften in Farbe schrieben und dann mit Lineal unterstrichen oder auch die (es waren oft die gleichen), die Herze oder Blumen oder Kreise statt der I-Punkte malten? Ich wollte sein wie sie, scheiterte aber, und meine Schulhefte sahen aus wie Kriegsgebiete und nicht wie ein Blumenbeet. Ich sehe alles doppelt so deutlich, als wären meine Augen ein Vergrößerungsglas, ist das ein Krankheitszustand und als solcher heilbar? Und wo kommt diese ganze Traurigkeit her?

Alicia: Hast du ihr wieder nur erzählt, wie toll alles ist, dass du den Rasen gemäht und ein Regal gebaut hast und dass die Rosen immer noch so schön blühen? Ich: Ich hab nichts von deinen alten Rosen gesagt, spinnst du. Alicia: Sind es jetzt auf einmal meine Rosen, dankeschön. Ich: Na und, was willst du eigentlich damit sagen. Alicia: Da hast du auch wieder recht."

Nur ein wenig

Sag mal bitte, Alicia, hat mir Märi jetzt Küsse geschickt oder nur Grüße aus Griechenland oder vielleicht Hugs oder wie das auf Englisch heißt, und wie erleichtert genau ist sie gewesen, als sie gehört hat, dass ich nicht an einer schweren Krankheit leide und wie erschrocken, als sie hörte, dass möglicherweise, und wie hat sie meinen Namen genau ausgesprochen, mit der Betonung eher nach oben oder eher nach unten gerichtet? Fragen über Fragen, könntest du bitte noch einmal von vorne anfangen, weil ich eine solche Genauigkeitssehnsucht habe, wenn es um Märi geht, bitte ganz wortgetreu, erst das erste, dann das zweite Wort usw. und das liegt nicht nur daran, dass sie mir im Sommer ihren Führerschein gezeigt hat mit einem Bild darin, auf dem ihre Lippen sehr trotzig gewölbt sind und das Kinn aufmüpfig nach oben weist, die Augen überheblich in die Kamera schauen, und der Führerschein ist inzwischen ein alter grauer zwischen Daumen und Zeigefinger baumelnder Lappen. Damals hat sie die Welt verändern wollen (ja!) und bis in die Nächte auf der Schreibmaschine geschrieben (ja!). Pfeife (ja! ja!) hat sie außerdem auch geraucht. Die Haare sind jetzt weiß und flattern im Fahrtwind, wenn sie über die griechischen Inselstraßen kurvt und ein bisschen aussieht wie Meryl Streep, fand ich in dem Augenblick, bloß der Eckzahn anders geformt. Und ich hängte mich an ihre Lippen wie eine Kunstturnerin, tauchte mein Weißbrot in den selben Teller wie sie und schleckte hinterher meine Finger ab, beginnend mit dem Daumen und dann der Reihe nach bis zum kleinen Finger. Kannst du das verstehen? Sie hatte Tintenfisch in Weinsoße und gefüllte Zucchiniblüten bestellt, und ihr Mund schloss sich um eine Zucchiniblüte und gab ein leicht saugendes Geräusch von sich, worauf ich noch einen Schluck Weißwein nahm und meinem Kehlkopf beim Schlucken zuhörte. Ich machte also Felgaufschwung, Felgumschwung und noch einige weitere gewagte Reck- und Barrenstückchen à la Märi-Lippe, was gar nicht so einfach war. 


Nach einem Salto rückwärts stand ich wieder auf dem Boden und wankte ein wenig, musste jedoch nicht ausgleichen. Ich dachte, es wäre ein Tischbein, es war aber ihr Fuß mit dem Wanderstiefel dran. Inzwischen hatte ich innerlich schon ca. 73 Fotos von ihr geschossen, die ich, wieder zuhause angekommen, als Überraschung für mich selber und um für den langen Winter ein wenig Zeitvertreib zu haben, in allen möglichen Schränken und Winkeln des Hauses zwischen Buchseiten zwischen Bohnen und Erbsen im Küchenschrank verstecken würde. Märi beim Schwimmen. Märi im Gemüseladen. Märi beim Gartenwässern. Märi beim Griechischreden. Eine Haarsträhne hatte sich in ihrem Mundwinkel verfangen, als sie mit der Gießkanne durch den Garten ging, und das dauerte bei der Größe des Gartens so lange, dass ich währenddessen auf meinem Stuhl unterm Olivenbaum Zeit hatte, ungefähr eintausend verschiedene Gedanken zu denken, und sie blies sich die Haarsträhne aus dem Gesicht, half mit der Zungenspitze nach. Das Tuch über der Brust verknotet. 
Ist dir warm? 
Nur ein wenig.

Montag, 10. Oktober 2011

Was sagst du?


Ich glaub, ich rannte in jener einen Nacht die steile Straße zwischen Burg und Meer 7 Mal hinauf und wieder hinunter, überquerte sogar den Friedhof ca. 4 Mal, obwohl Neumond war und ich nicht sah, wo ich den Fuß hinsetzte und auch um Mitternacht noch eine Brutwärme herrschte, hockte mich dann aufs Friedhofsmäuerchen und wartete auf ein Wunder, nämlich dass ein Auto um die Kurve böge, aus dem eine weiße Haarmähne herauswehte, und mich gleich mitnähme auf die nächtliche Bootsfahrt unterm Sternenhimmel. Da stünden wir an die Reling gelehnt, würden nicht sprechen, bloß vor uns hin atmen und dann plötzlich sehn, wie ein Delphin ein paar Meter weiter aus dem Wasser spränge in einem Bogen und dann wieder untertauchte, beinah lautlos, und von der Dunkelheit vom Wasser verschluckt und ein wenig Sternengeprassel auf den Wellen. Märi: Was sagst du? Nach einer sehr langen Pause sagte ich was. 


(Wieso staksen die Sätze aus meinem Mund, als gingen sie auf Stelzen? Kannst du durch meine Unbeholfenheit hindurch direkt in mein Herz schauen, Märi?)

Donnerstag, 6. Oktober 2011

Herbstheimlichkeit

Mit lehmigen Schuhen stapfe ich im Garten herum, die Kapuze des Anoraks in die Stirn gezogen. Ich richte die Blumentöpfe auf, die der Herbstwind umgeweht hat.

Die Katze verkriecht sich im Kleiderschrank.

Am Radio wird der Literaturnobelpreisträger dieses Jahres verkündet. Ich blase auf den heißen Tee in meiner Tasse.

Ein Teil von mir lächelt. Und der andere?

Dienstag, 4. Oktober 2011

Im Niemandsland leben

"To be fully alive, fully human, and completely awake is to be continually thrown out of the nest. To live fully is to be always in no-man's land, to experience each moment as completely new and fresh. To live is to be willing to die over and over again. From the awakened point of view, that's life."

(Pema Chödrön, teacher at Gampo Abbey, in Cape Breton, Nova Scotia, the first Tibetan monastery in North America)


Riding On A Bus, Gansu Province, Northern China, 1988

Montag, 3. Oktober 2011

Es gab einen lichten Anfang

Es gab einen lichten Anfang. Es gab einen Anfang ohne jegliche Berechnung. Es gab den offenen Himmel, es gab eine wortlose Leichtigkeit.

Dann kam die Nähe und legte ihre schweren Hände auf die Stunden. Es war Winter, es war Nacht, der Schnee fiel unaufhörlich vor dem Fenster.

Sonntag, 2. Oktober 2011

Ein Besuch

Sie hat vieles vergessen. Wie sie auf der Station 1B im Krankenhaus St.Lars gelandet ist z.B. Wann ihre Mutter gestorben ist. Den PIN-Kod ihres Handys.
Wir laufen eine Runde im Stadtpark. Sie versucht sich zu orientieren.
"Hier bin ich schon einmal gewesen, vor vielen Jahren", sagt sie, "aber ich würde mich allein nicht zurechtfinden."
Erinnerst du dich an deine Freunde?
"Ja,ja! Ich weiß auch, dass ich deine Wohnung mag, dass sie irgendwie besonders ist, aber ich habe vergessen, wie sie aussieht."
Wir sammeln einige Daten. Wir waren in Indien dieses Jahr, weißt du noch?!
Ich erinnere sie daran, was sie am Wochenende vor vierzehn Tagen gemacht hat.
"Habe ich das?" Sie sieht schrecklich verloren aus. "Ja, das habe ich wohl."

Samstag, 1. Oktober 2011

Lesbos 13/12 2021

Am Morgen wachte ich zum Plätschern des Regens auf. Machte mir Kaffee, schmierte mir Brote, packte eine Portion gesalzene Oliven in den Ruck...