Freitag, 29. Oktober 2010

Der gelbe Ball

Ich weiß nicht, warum ich plötzlich an den gelben Ball dachte.
Es war ein gewöhnlicher Ball, und es stand in großen Buchstaben YTONG darauf geschrieben. Er war ein Werbegeschenk, und mein Vater hatte ihn aus der Arbeit mitgebracht.
Wir spielten mehrere Sommer lang mit dem Ball. Mit jedem Jahr wurde seine Farbe bleicher, und in jedem Frühling war er weich und träge geworden und musste wieder aufgepumpt werden.
Ich weiß nicht, in welchem Winkel meines Gedächtnisses dieser Ball gelegen hat, und warum er plötzlich auftauchte und mit ihm das Gefühl, dass mir etwas Wichtiges verloren gegangen ist.

Donnerstag, 28. Oktober 2010

Und wieder...

...stolpert mein Herz über so viele Steine, die ich selbst gesammelt und mir in den Weg gelegt habe.


Ich fand ein altes Gedicht:

Ich lasse auch hier und dort
ein Haar // ein Stück
Fingernagel // eine Schuppe
meiner Haut zu Boden fallen //
sollte jemand mir aus Liebe folgen-.

So trabe ich mit
gelichtetem Haupthaar //
gerupften Fingerspitzen //
verwüsteter Haut //
die Hufe tastend
auf dem Geröll-.

(geschrieben - von der, die ich mal war - vor ziemlich genau zwanzig Jahren)

Dienstag, 26. Oktober 2010

Lesefrucht und Hörfrucht


"Act like and treat yourself as though your mind were joyful, kind and big - as though it were radiant, unlimitedly friendly and large. In reality, your true nature is such and if you treat yourself this way, you just may rise to the occasion." (gelesen in Gail Sher: One Continous Mistake)

(Außerdem am Radio einen Bericht über Stockholmer Schüler gehört, die mit David Lynch meditieren. David Lynch: "Clint Eastwood is a big meditator". Ein Schüler erzählt, dass er seit seinem dritten Lebensjahr meditiert. Jetzt ist er dreizehn. Er meditiert jeden Morgen und jeden Abend dreizehn Minuten, eine Minute für jedes Lebensjahr. Er sagt, man erlebt alles viel stärker, wenn man meditiert. Und manchmal, sagt er, ist man da, wo nichts existiert. Es ist eigentlich nichts Besonderes. Aber hinterher fühlt man sich froh.)

Montag, 25. Oktober 2010

Donnerstag, 21. Oktober 2010

Der traurige Mann in Istanbul

Der traurige Mann saß auf einem Stuhl im Hostel, mit Kopfhörern im Ohr und einem Styroporbecher in der Hand.
Er fing so allmählich an, mir seine Geschichte zu erzählen. Ich war eigentlich mit etwas anderem beschäftigt, und die Geschichte, die er mir erzählte, war so unwahrscheinlich, dass ich mich gestört fühlte. Erst dachte ich, er phantasiert vor sich hin, erfindet alles, aber als er weiter machte, glaubte ich ihm plötzlich jedes einzelne Wort.
Er entschuldigte sich dafür, dass er hier saß auf dem Stuhl und sich betrank, aber "sein bester Mann" sei heute in einem Krankenhaus in der Türkei gestorben, an einem Hämatom im Gehirn, ob ich wüsste, was das sei, ein Hämatom, was mit Blut sagte ich, ein Blutgerinnsel sagte er. Nein mehr, sagte er, ein Freund seit vielen Jahren, ob ich wüsste, was das bedeutete, Seite an Seite zu kämpfen, und wie nah man sich käme. Es ist verrückt, sagte er, ich habe in den letzten vier, fünf Monaten fünf Männer verloren. Erschossen, sagte er. Jetzt wo die Türken aus Afghanistan abgezogen sind, sind wir wie Freiwild geworden.
Ich bin Arzt, sagte er dann. Arzt, fragte ich. Es war so unwahrscheinlich. Er sah aus wie ein Penner, und es fehlten ihm fast alle Zähne im rechten Oberkiefer, weshalb er auch älter aussah als er war, Jahrgang 70 sagte er, wir müssten ungefähr gleich alt sein, sagte er zu mir. Vor 21 Jahren habe er sich für 25 Jahre bei der Fremdenlegion verpflichtet, dort auch seine Ausbildung zum Arzt gemacht, und jetzt habe er noch 4 Jahre vor sich. Eigentlich Finne, kann aber nicht finnisch, hat lange in Schwaben gelebt und dann in Marseille. Dort die Arztausbildung. Es ist nicht leicht, Arzt zu sein in der Fremdenlegion, sagte er.
Entschuldigen Sie mich, aber ich möchte jetzt Musik hören, sagte er. Er liebe Haydn. Er stöpselte seinen Kopfhörer wieder ins Ohr, weinte, trank etwas Schnaps. Dann nahm er den Kopfhörer wieder ab, kam näher. Ich bin in der Türkei in Behandlung wegen Krebs. Er erzählte mir von seiner Chemotherapie und dass er jetzt nur noch knapp 50 Kilo wiege und vorher 98 Kilo gewogen habe.
Ich verstand jetzt auch, wieso die Hose, die er anhatte, aussah, als gehöre sie jemand anderem, was vielleicht zusammen mit den Zähnen zu dem Eindruck der Verwahrlosung beitrug, den ich von ihm bekommen hatte.
Jeder hat sein Päckchen zu tragen, sagte er und lachte sogar, so dass man seine Zahnlücke sah. Ich sagte, es ist aber manchmal ein bisschen ungleich verteilt und fühlte mich furchtbar nichtssagend, farblos, ein Mensch ohne Lebenserfahrung. 

Ich war erleichtert, als jemand in den Raum kam, der ihn kannte und sich danach erkundigte, wie es ihm ging (und eine Zigarette von ihm schnorrte). Ich bin unten, sagte er, falls du mich brauchst. Ich konnte mich wieder der Tätigkeit zuwenden, mit der ich beschäftigt gewesen war, und der traurige Mann leerte seine Schnapsflasche und verließ nach einer Weile den Raum.

Dienstag, 19. Oktober 2010

Es ist ein Weinen in der Welt

Die ganze Nacht stürmt und regnet es. Und die Katzen schreien gotterbärmlich.

Und ich bin der Sturm, und ich bin der Regen. Und ich bin das Geschrei der Katzen.

Montag, 18. Oktober 2010

We can travel a long way

„We can travel a long way and do many different things, but our deepest happiness is not born from accumulating new experiences. It is born from letting go of what is unnecessary, and knowing ourselves to be always at home.” (Sharon Salzburg)

immer wieder nacht und regen, der in bächen vom dach herunterrinnt   -   und neblige frühe dunkle morgen, der hahn, der unermüdlich kräht   -   und das geräusch der oliven, die vom baum herunterfallen und auf dem steinboden vor der terrasse landen   -   und wie ich an olivenplantagen vorbeiwandere, vorbei an improvisierten zusammengeflickten gattern und zäunen, an improvisierten, windschiefen unterständen   -   die schwarzen netze, die unter den olivenbäumen ausgelegt sind   -   und granatäpfel und orangen an ästen, die sich biegen unter dem gewicht   -   und der alte mann mit der dicken halskrause auf dem weg von molyvos nach petra, der die oliven in seinem garten aufsammelt   -   und die frau in blauem faltenrock und rotem pullover, die am kai von petra steht und eine angelschnur ins wasser hält   -   und die alte schwarzgekleidete frau, die mir griechisch beizubringen versucht   -   und immer wieder katzenbesuch am abend auf der terrasse   -   die weiße katze, die katze mit den drei braunen flecken, die katze mit der weißen schwanzspitze   -   und die alten männer, die überall in gruppen herumsitzen (auf der straße, an der tankstelle, in den cafés) und sich unterhalten   -   und die alten frauen, die immer mit etwas beschäftigt sind (fegen, den müll wegbringen, die wäsche aufhängen)   -   und ein traum von orhan pamuk und von roten stiefeln  -   und ein traum von den noten zu einem musikstück, das „regen in istanbul“ heißt   -   und der taxifahrer, der mich schweigend durch nebel und regen bringt und zum abschied die hand auf sein herz legt   -   und ein dicker insektenstich auf meinem oberschenkel   -   und abende auf meiner terrasse   -   teelichter, die immer wieder ausgehen und die ich immer wieder anzünde   -   und wie es über nacht erst herbst wird und dann über nacht wieder sommer   -   und gewitter, über den ganzen himmel verteilt, gewaltsame donnerschläge   -   und lesen, lesen, schreiben, schreiben   -   und die insekteninvasion eines abends (die gelbe wand hinter mir schwarz von insekten)   -  und die kleinen öligen tausendfüßler auf dem fußboden überall, die ich jeden abend und jeden morgen mit einem stück papier aufklaube und ins klo werfe   -   und ouzo mitten am tag im kommunalen café und in der sonnenhitze   -   und wie ich meine gebratenen sardinen mit der katze teile (die köpfe für sie, der rest für mich)   -   und nie beneide ich die touristen, die als pärchen umherlaufen, mit reisehosen und reiserucksack und reiseführer in der hand   -   und der alte mann, der sagt „nice weather, I will go fishing today“   -   und nie wissen, ob es yassas heißt oder yassu bzw. was der unterschied zwischen den beiden ist   -   und der internetmann mit der wilden dunklen mähne und dem wilden dunklen blick   -   und keine nachricht, keine nachricht   -   und wandern wandern   -   mit blasen an den füßen wandern   -   mit lehmklumpen an den schuhen wandern   -   über den berg wandern, vorbei an den verbrannten büschen   -   und mir den weg bahnen durch stachlige büsche, und pfützen ausweichen, über steine stolpern   -   und nescafé mit warmer milch am morgen   -  und das handy vor mir selber verstecken   -   und dicken yoghurt am morgen   -   und retsina am abend und schafskäse am abend   -   und wie ich plötzlich vom wunsch befallen werde, unter dem dach aufzuräumen, auszumisten, sauberzumachen   -   und wie ich unter dem dach aufräume und staubsauge, wische und und in der dunkelheit tüte um tüte mit müll zum müllcontainer trage   -   und baden in der heißen quelle (immer wieder in der heißen quelle baden)   -   und der holländer, dessen weite badehose sich mit luft füllt wie ein ballon, als er in das becken steigt   -   und das kleine mädchen, das die füße ins wasser steckt und „heiß!“ ruft   -   und mich freuen, als jemand mir zuruft „hello! how are you?“   -   und so weit ins meer hinausschwimmen   -   und noch weiter ins meer hinausschwimmen   -   und am menschenleeren strand liegen, meinen schal auf dem gesicht als schutz gegen die sonne, und träumen, dass jemand mich anblickt (schweigend, und ohne meinem blick auszuweichen)   -   und unter den steinen am strand nach dem einen stein suchen, nach meinem stein   -   und der kleine hund, der mir unermüdlich folgt und dann vorausläuft und immer wieder anhält und sich umblickt   -   und wie ich mich allmählich einrichte im schweigen, in der zeitlosen zeit   -   und wieder regen in der nacht, der vom himmel herunterstürzt, und regen, der vom dach, von den bäumen tropft   -   und wie ich plötzlich nie wieder weg will von hier   -   und wie ich plötzlich die sekunden zähle bis zu meiner heimkehr  

Lesvos Bilder















Freitag, 15. Oktober 2010

Abends beim Ouzo / Hornochsenspiel

Ich will sagen: 

"Gerechtigkeit und Moral" (sic!), sage aber "Geschlechtlichkeit und Moral".

Sie will sagen:

"Kopfkissen", sagt aber "Kotzkissen".

Wir essen englische Weingummis und stellen uns vor, wie sie in unseren Mägen zu geleeartigen Monstern anschwellen.

Das alles finden wir schrecklich lustig, aber ob der Rest der Welt das auch findet, ist noch offen.

Mittagessen auf der Terrasse

Istanbulbilder

Angler auf der Galata Brücke

Grand Bazaar

Hamam von außen


Beyoglu Katze und Graffiti

"Meine" Katze im Mausoleum der Süleymaniye Camii Moschee

Im Mausoleum der Süleymaniye Camii Moschee

Ein bisschen Touristennepp

Hab vergessen, wie diese schöne Moschee hieß



In der blauen Moschee

...und nochmal...

...und zum Letzten

Baklava vorher...

...und nachher

Kaffee in Ayvalik

Donnerstag, 14. Oktober 2010

Nachtrag: Dunkel in Istanbul

Nachtrag zum gestrigen Morgen, an dem ich so ziemlich alles tat, wovon ich anderen abraten würde.

  1. Da ich morgens um 6 Uhr allein im Dunkeln an einer Bushaltestelle stand und plötzlich nicht sicher war, ob überhaupt zu der Zeit ein Bus kommen würde, stieg ich in einen Minibus, der neben mir anhielt und in dem bereits 5 übermüdete Männer saßen, offensichtlich auf dem Weg zur Arbeit. Keiner konnte Englisch, aber der Fahrer nickte, als ich „Yenikapi“ sagte.

  1. Der Fahrer ließ mich an irgendeiner anderen dunklen Stelle der Stadt aussteigen und auf meinen Protest hin („Was? Das ist aber nicht Yenikapi!“) bedeutete er mir, in einen anderen Minibus einzusteigen, der neben uns angehalten hatte und in dem auch bereits ca. 5 übermüdete Männer saßen, offensichtlich auf dem Weg zur Arbeit. Keiner der Männer konnte Englisch, der Fahrer des ersten Busses sagte etwas zu dem Fahrer des zweiten Busses. Der schien unzufrieden zu sein, fuhr aber dann los.

  1. An einer noch dunkleren Stelle der Stadt hielt der Fahrer des zweiten Minibusses schließlich an und sagte „Yenikapi“ zu mir. Da ich so entrüstet „what?“ sagte, verlangte er nicht einmal Geld von mir, und einer der übermüdeten Männer (der während der Fahrt, auf der mir plötzlich einfiel, wie grenzenlos dumm ich war, so ziemlich erfolglos versucht hatte mit mir ein Gespräch zu führen) stieg mit mir aus und bedeutete mir, ihm zu folgen, ins noch tiefere Dunkel der Stadt hinein. „Otobüs Yenikapi“ sagte ich, so gut war mein Türkisch schon nach einem Tag, aber er winkte nur, ich solle kommen und nickte eifrig. Ich hatte keinen Grund ihm zu miss-, aber auch keinen Grund ihm zu vertrauen, beschloss also lieber vorsichtig zu sein.

  1. Ich sprach an einem Imbiss einen Mann an, der gerade frühstückte, und zum Glück konnte er Englisch, sagte, er würde mich nach Yenikapi bringen, in ca. 3 Minuten, und da er freundliche Augen hatte und der andere Mann zufrieden mit dieser Lösung schien, bestellte ich mir auch einen frisch gepressten Orangensaft und wartete. Als ich begriff, dass der Lastwagen, der am Straßenrand parkte, dem Mann gehörte, wurde ich dann wieder etwas unsicher, vertraute dann aber meiner Menschenkenntnis (den freundlichen Augen) und stieg ein. Tatsächlich war es nur ca. knapp ein km zum Fährhafen, auf dem er aber Zeit hatte, mir zu sagen, wie gefährlich das Viertel sei, in dem ich ihn aufgegabelt hatte. Und als ich sagte, ich käme aus Deutschland, lachte er und sagte "Little Turkey".

  1. Er fuhr mich zum Eingang des Fährhafens Yenikapi, schüttelte meine Hand, die ich ihm hinhielt, wenn auch mit einem schlaffen Händedruck, und wünschte mir eine gute Reise, ohne mir zu verraten, dass er das selbe Boot nehmen würde, so dass ich ziemlich überrascht war, als ich ihn an Bord der Fähre wiedersah. Wir winkten uns aber nur aus der Entfernung zu, und ich widmete mich wieder meinem Buch, während er den Rest der Reise schlief.

Dienstag, 12. Oktober 2010

Essen in Istanbul

Obwohl ich heute nachmittag schon 1 Maiskolben, 1 mit Kartoffeln gefüllten Pfannkuchen (überteuert) und 3 Baklava (Walnuss-, Pistazie- und Schoko-Pistazie-) gegessen habe, findet mein Magen plötzlich, dass es schön und an der Zeit wäre, noch mal mit was gefüttert zu werden. Werde mich also hinaus in die Straßen von Istanbul begeben (es ist schon 21:30) und mich nach was Essbarem umsehen. Nicht dass das auch nur im Geringsten schwer wäre! Alles schaut hier so lecker aus!

Es regnet in Istanbul

Und ich gehe unter dem grau verhangenen Himmel durch die Stadt. Es ist gut, ein Ziel zu haben: den Fährhafen Yenikapi, wo ich mir ein Ticket für die Fähre morgen kaufen will.

Zu allererst kaufe ich mir ein Glas frischgepressten Orangensaft und ein kleines Sicherheitsschloss, um meine Sachen im Hostel einschließen zu können (Anmerkung: Das Schloss war ZU klein und taugt nur, um meinen Koffer abzuschliessen)..

Angler stehen dicht nebeneinander auf der Galatabrücke, die in den historischen Teil der Stadt führt, und in mit Wasser gefüllten Plastikbehältern versuchen die gefangenen Fische zu begreifen, warum sie plötzlich überall gegen Wände stoßen. Beschließe in dem Moment, keinen Fisch mehr zu essen.

Laufe durch den Grand Bazaar, wo man so ziemlich alles kaufen kann. Um mir die Bruchfestigkeit seiner Teegläser zu demonstrieren, schlägt der Geschäftsinhaber mit einem davon hart gegen das Kopfsteinpflaster. Ein anderer, der handgemalte Derwischbilder verkauft, fängt gleich an, Deutsch mit mir zu reden und erzählt mir, dass seine ganze Familie in Mönchengladbach lebt und er auch sechs Monate dort gearbeitet hat.

Ich bin in einer melancholischen Stimmung, gehe durch die Sicherheitskontrolle am Fährhafen, kaufe mir die Fahrkarte und lasse mir dann erklären, wie man mit dem Bus von Taksim hierher kommt.

Es gibt hier noch einen Busschaffner, der am Eingang sitzt und das Geld entgegennimmt (75 Cent für eine Fahrt), in meinem Bus ein Junge mit großen dunklen Augen und einem weichen Mund, der mich an ein in einen Käfig gesperrtes Raubtier erinnert. Ständig lässt er seine Augen wachsam durch den Bus wandern, springt dann auf, reißt das Fenster auf, um etwas hinauszurufen, setzt sich dann wieder, nimmt das Geld entgegen, das die Passagiere ihm mit unbeteiligter Miene hinlegen, verzieht den Mund, murmelt irgendwas zu sich selber, geht völlig in seiner Aufgabe auf.

Die Dächer der Wohnhäuser um den Fährhafen Yenikapi waren dick bevölkert mit Möwen, die auch in dichten Schwärmen über dem Hafen kreisten.

Später:

Ayia Sofia - hier irgendwo sitze ich gerade
Es gibt überall in Istanbul (Kulturhauptstadt 2010!) Free Internet Spots, man kann also, wie jetzt grade, auf einer Bank vor der Ayia Sofia Moschee sitzen und bloggen. Neben mir versucht ein Maiskolbenverkäufer lauthals, seine gegrillten und gekochten Maiskolben loszuwerden. Zwei Touristen haben sich türkische Kappen und Flöten gekauft, hocken auf der Bordsteinkante und blasen nervtötend auf ihren Tröten herum.

Nachdem ich den ganzen Nachmittag nach der Ayia Sofia Moschee gefragt habe und mich in verschiedene Richtungen habe schicken lassen, ohne fündig zu werden, ist sie jetzt geschlossen. (Ich weiß ja jetzt, wo sie ist und werde in acht Tagen wiederkommen.)

In einem Mausoleum der blauen Moschee kletterte eine kleine Katze auf meinen Schoß, rollte sich zusammen und knabberte an meinem Finger, bevor sie anfing, laut zu schnurren. Als ich sie nach einer Viertelstunde oder so von meinem Schoß runterheben wollte, protestierte sie lauthals und versuchte gleich wieder zurück zu klettern. Ein alter Türke kam und schüttelte mir die Hand, tätschelte mir die Schulter und streichelte dann den Kopf der Katze.

Zum Mittagessen bekam ich Suppe, einen Teller mit Huhn, Kartoffeln, Reis, Zucchini, Yoghurt und einen Teller mit gemischtem Salat für ungefähr 3 Euro.

Die Muezzine von zwei gegenüberliegenden Moscheen rufen im Wechselsang zum Gebet.

Muezzin und Frühstück

Um 6 Uhr morgens ruft der Muezzin von der Moschee nebenan zum Gebet (5 Uhr MEZ).

Um 8 Uhr stehe ich auf, um zu duschen und dann zwei Treppen weiter unten von einem herrlichen Frühstücksbüffet überrascht zu werden, mit Tomaten, Gurken, Feta, Ei, dicken Weißbrotscheiben und schönem starkem türkischem Tee.

Der Junge, der hier arbeitet, sitzt in derselben Körperstellung wie gestern abend vor seinem Computer, Hände in den Taschen seiner Kapuzenjacke, und schaut sich einen amerikanischen Film an. Das Frühstück wird von einer Frau mit weißem Kopftuch serviert.

Überall legen die Geschäftsinhaber kleine Häufchen Katzenfutter für die herumstreunenden Katzen aus.  

Weiß noch nicht, was ich heute mache. (Außer, dass ich über die Brücke in den historischen Teil der Stadt spazieren will. Außerdem muss ich ein Ticket für die Fähre morgen kaufen, mich über Busse usw. informieren)

Montag, 11. Oktober 2010

World House Hostel in Istanbul
Hier wohne ich.

Straßenbahn Taksim-Tünel
Mit dieser Straßenbahn kam ich hierher. Lederschlaufen zum Festhalten. Holzvertäfelung im Innern. Ungefähr zwanzig Leute haben in dem Wagen Platz, der sich klingelnd seinen Weg durch die Menschenmenge bahnt.

Auf dem Weg nach Istanbul

(Das Blöde zuerst: Ich habe zwar alle Kameraobjektive dabei, habe aber den Adapter vergessen, mit dem ich die Nikonobjektive auf die Canon montieren kann!)

Auf der Toilette des Züricher Flughafens führt eine junge Frau in der Nachbarkabine ein Telefongespräch: "Mach dir mal keinen Kopf. Ich habe es lustig gefunden!"

Mein französischer Nachbar im Flugzeug verliert die Kontrolle über das Einwickelpapier seines Schweizer Schokoladentäfelchens, das in einem Bogen durch die Luft fliegt und dann auf meinem Arm landet, was ihm übertrieben peinlich ist.

Ich lese die ganze Zeit in Dave Eggers' Buch, es kommt mir also vor, als hätte ich den Tag nicht im Flugzeug verbracht, sondern ganz woanders (in einer unaufgeräumten Wohnung).

Wir fliegen zwar über Österreich, Slowenien, Serbien usw., aber es ist völlig unwirklich, sich auf diese Weise durch die Welt zu bewegen!

In Istanbul bin ich erstaunt darüber, wie wohlgeordnet alles ist, wie glänzend und neu die Autos, wie überschaubar der Verkehr.

Aber auf der Informationstafel einer Taxigesellschaft steht: "Lassen Sie sich bei der Ankunft des Taxis nicht von einem Fremden beim Auspacken helfen!"

Es ist grau und bewölkt, doch warm, und ich muss meine zwei Jacken ausziehen.

Ein deutscher Tourist, der neben mir wartet, hat einen gezwirbelten Schnurrbart und einen schwarzen Koffer mit weißen Punkten.

Ich fahre mit einem Shuttle Bus in die Stadt (Taksim) und nehme dann eine historische Straßenbahn von Taksim nach Tünel. Es wälzt sich ein Menschenstrom durch die Straße, und die Straßenbahn kann nur ein wenig schneller als Schrittgeschwindigkeit fahren. 

Habe nicht das Gefühl, in der Türkei zu sein. Um mich herum (im Hostel Café) wird gerade deutsch und englisch gesprochen.

Das Einzige, was darauf hinweist, dass ich mich im Orient befinde, sind die aus dem Stadtbild hochragenden Minarette. Auch neben dem Hostel befindet sich eine Moschee, die, als ich ankomme, gerade zum Gebet ruft.

Ich wohne in der Musikstraße (ein Instrumentenladen liegt neben dem anderen).

Esse Sis Kebab, trinke ein Ayran, das aus einem großen Behälter geschöpft und mit einer dicken Haube aus Schaum serviert wird, hinterher Tee aus einem kleinen Glas.

Kaufe einen süßen, triefenden Kringel von einem alten Mann mit Mütze.

(Ich sehne mich, vermisse, bin deshalb mit dem Kopf ein wenig woanders.)

Sonntag, 10. Oktober 2010

Wie es ist

Kaufte heute impulsiv das Buch "A Heartbreaking Work of Staggering Genius" von Dave Eggers (in der schwedischen Übersetzung) im Secondhand-Laden, weil das Motto eine so ziemlich genaue Zusammenfassung meines gegenwärtigen mentalen und seelischen Zustands ist (und zu 16,66% eine Wunschvorstellung!)

ALLRA FÖRST:


Jag är trött.
Jag är trohjärtad!


OCH DESSUTOM:


Du är trött.
Du är trohjärtad!

Ungefähre Übersetzung:

ZUALLERERST:



Ich bin müde.
Ich bin treuherzig!


UND AUSSERDEM:


Du bist müde.
Du bist treuherzig!

Ich glaube, die Ausrufezeichen haben es mir heute besonders angetan. 

Samstag, 9. Oktober 2010

Was ich gerne tue

Es gibt kaum etwas, was ich lieber tue als für jemanden kochen, den ich mag*. Draußen scheint die Sonne und lockt die Menschen ins Freie. Aber ich, mit der Schürze in meiner Küche, bin so ziemlich wunschlos glücklich.

*sehr!

Ich bin außerdem in einer William Carlos Williams-Stimmung. Die Welt fühlt sich einfach an und schön.


The Red Wheelbarrow

so much depends upon
a red wheel barrow
glazed with rain water
beside the white chickens.

William Carlos Williams
(und wenn man sich im Internet umschaut, bekommt man haufenweise Treffer für eine rote Schubkarre mit weißen Hühnern, aber auch ohne Hühner und trotzdem hyperdeutlichem Verweis aufs Gedicht)


Schubkarre ohne Hühner
http://poets.org/images/fv_williams.gif

Freitag, 8. Oktober 2010

Wo soll ich diesen Tag eigentlich verbuchen?


Keine Ahnung, er zerfiel mir etwas, in der Computerhölle, beim Versuch, ein Pseudoproblem zu lösen (Problem jetzt gelöst, aber der Tag ging mir irgendwie verloren).

Wenigstens der blondlockige Bankangestellte war schön, mit hellblauen, weit auseinander liegenden Augen, einem rosa Hemd und lila Pullover über dem schmalen Oberkörper. Er sah aus, als würde er sich aufrichtig freuen, dass ich kam und wünschte mir zum Schluss "alles Gute", und es war mir in dem Moment, als könnte dieser Wunsch für den Rest meines Lebens ausreichen.

Donnerstag, 7. Oktober 2010

I'm happy as can be

I'm happy as a clown

Vatersorgen

Am Telefon erzählte mein Bruder, was unser 82jähriger Vater vor ein paar Tagen am Telefon zu ihm gesagt hat:

"Du machst immer dasselbe. Pass auf, dass dir dein Leben nicht langweilig wird. Du musst auch mal was riskieren, auch wenn es sein kann, dass du dabei auf die Schnauze fällst."

Mittwoch, 6. Oktober 2010

Manchmal bin ich erstaunt,

z.B. heute bei meinem Telefonanruf beim Bundeszentralamt für Steuern in Bonn. Nach ungefähr 4 Sekunden Wartezeit hört sich eine Frau in der Telefonzentrale mein Anliegen an, verbindet mich dann mit "Frau S.", die mir freundlich mitteilt, dass mein Problem eigentlich kein Problem ist, sondern gleich sofort und auf der Stelle erledigt werden kann und dass meine versehentlich bezahlten Steuern natürlich zurück auf mein Konto überwiesen werden.

"Sagen Sie mir Ihren Namen?"
Mein popeliger Name reicht, damit sie alle erforderlichen Daten findet!

Und das in einem Land, das 80 Millionen (oder so) Einwohner hat!

Zur Feier dieses Telefongesprächs ein schönes Bild von Geld:

Montag, 4. Oktober 2010

Das Land dazwischen


Du fragst mich wo ich zuhause bin:

Im Land dazwischen,

wo die eine Sprache aufhört
und die andere noch nicht anfängt

In den kurzen atemlosen Sekunden
des Erwachens,
wenn ich weder weiß, wer ich bin
noch wo ich mich befinde



Freitag, 1. Oktober 2010

Ich falte die Hand auf


Ich falte die Hand auf wie einen Flügel

Sie ist größer als ich dachte

Sie bedeckt den ganzen Tag

Sie bedeckt die Sätze, die ich durchstrich

Lesbos 13/12 2021

Am Morgen wachte ich zum Plätschern des Regens auf. Machte mir Kaffee, schmierte mir Brote, packte eine Portion gesalzene Oliven in den Ruck...