Mittwoch, 12. September 2007

Erinnerung an einen Frühling

{in den Tiefen meines Laptops verbergen sich manchmal Texte, die ich vergessen habe, so wie dieser, den ich "Still im Haus" nannte.)


Still im Haus und vorsichtige Annäherung: die leise Berührung der Katzen am Hosenbein. Während ich am Abend (Mondsichel zunehmend) was ich am Tag getan habe betrachte. Erster Frühlingssonnentag und ich im Balkonkäfig, Goldstaub in der Luft, drei Männer mit schwarzen Anzügen und Hüten um eine geöffnete Motorhaube. Dann meine Farbenfreude, Farbenlust, Pinselstrauß, und Angst, was mache ich hier, und Farbentoben, Farbenwüten, ganz zeitentfernt

Morgens Blutentnahme, Blutprobenröhrchen, Blutprobenzimmer

Weil ich doch stiftabhängig mein Kopfkäfig mich immer wieder eingittert

Sobald ich den Stift in die Faust nehme

Jetzt Morgenkühle, Katzenübungen, Schreibkaffee, bin ich mir selber verloren gegangen oder bin ich erst so ganz verloren bei mir selber

Meine Tagesliste (Katzenfutter, Waschzeit, Telefongespräch, Bücher zurückbringen), ich bin nichts, nur dieser ständig wandernde Geist. Und die Feuerlöcher, geflickt, in meinem Gewand, und die brennende Haut. Und alles, was in mich hinein- und durch mich hindurch, und was wieder verschwindet, versickert, verdunstet, ein unaufhörlicher Anfang

Während ich Papier zerfetze und Stück für Stück wieder zusammensetze, meine Tagesarbeit (wie faszinierend es war, die Schmalfilme der Kindheit rückwärts zu sehen, der Kopfsprung mit den Füßen voraus aus dem Wasser)

Dienstag, 11. September 2007

Elstern

Eine Elster hackt in einem Café auf einem liegengelassenen Ciabatta herum.

Ich lasse die Katze auf dem Zaun balancieren, aber sie kommt aus dem Gleichgewicht und fällt auf der falschen Seite hinunter.

Meine Mutter ruft an und sagt, sie hat es satt, auf meinen Vater Rücksicht zu nehmen.

Ich bin zu müde, um mich auszuruhen.

Sonntag, 9. September 2007

21:08

Mein kariertes Leben.

"Everything must have a name" (David Shrigley, Malmö Konsthall)

Es fällt mir schwer, die Dinge und Ereignisse zu benennen.

Ich sage: "Alles wird leichter." (Weil ich weniger Zeit zum denken habe.)

Es scheint die Sonne. Ich gehe durch die Stadt.

"Fühlst du dich hier wohl?" "Manchmal."

Ich träume: ich bin im Zug, auf dem Weg irgendwohin, ich öffne das Fenster, es schlägt mir eine eisige Kälte entgegen, eine Winterkälte, die es in meinem Leben nicht mehr gibt, und von der mir plötzlich bewusst wird, wie sie mir fehlt. (Eine Kälte, die einem den Atem nimmt.)

Ich schlafe gut, ich erinnere mich kaum.

Mittwoch, 5. September 2007

Nachmittagssonne

Jemand ruft auf der Straße meinen Namen, kann aber unmöglich mich meinen.

Zwei junge Männer gehen unter dem Balkon vorbei und unterhalten sich über verschiedene Mobiltelefonhersteller.

Täglich kommen neue Bücher mit der Post, die ich auf meinem Schreibtisch staple.

Dienstag, 4. September 2007

Stehen

Ich stehe am Schreibtisch (linker Fuß auf rechtem, der fast das ganze Gewicht meines Körpers trägt, linker Oberschenkel leicht gegen die Schublade des Schreibtischs gelehnt), bereit, schnell diesen Platz wieder zu verlassen und woanders hinzugehen.

In der Sonne saß ich und las, und die Katze saß im Gebüsch, ganz aufmerksam und entspannt und ohne jedes Urteil.

Wenn ich die Ohren öffne, dann höre ich die Stille der Welt.

Ich möchte keine Fähigkeiten mehr lernen. Ich möchte akzeptieren lernen, was ist.

Charlotte Selver:
It's not what you think should be,
but what is, that is interesting.

Montag, 3. September 2007

Buchpaket

So schnell vergeht die Zeit, und ich habe heute ein Buchpaket mit folgenden Titeln erhalten:

Moshé Feldenkrais: Die Entdeckung der Selbstverständlichkeit
Heinrich Jacoby: Jenseits von 'Begabt' und 'Unbegabt'
Elsa Gindler - von ihrem Leben und Wirken ('Wahrnehmen, was wir empfinden')
Sensory Awareness as a Practice for Life (The Teachings of Charlotte Selver and Charles V.W. Brooks)

Gleichzeitig lese ich die Ellmann-Biographie über James Joyce.

Zwei Teile meiner gespaltenen Persönlichkeit: der eine, der mir in schlichter Güte erlauben will, endlich so zu sein, wie ich bin (ohne mich mit anderen zu vergleichen), der andere, der die Welt in Genies und Versager einteilt (wobei ich natürlich zu den Versagern zähle, obwohl ich mich den Genies zugehörig fühle). Es ist nicht schwer einzusehen, welche dieser Teilpersönlichkeiten "gesünder" ist als die andere, aber sie sind zweifellos ständig in meinem Innern im Kampf miteinander.

In der Nacht schlaflos im Bett kritzle ich folgendes in mein Tagebuch:
(Darin geht es über einen erfolglosen Freund Joyce's, der als Müßiggänger mit leichtsinnigen Gewohnheiten beschrieben wird.):
"Als er älter wurde, entartete sein Charakter noch mehr, und sein Tod in der Themse, wahrscheinlich ein Selbstmord, kam einem plumpen Einverständnis in die eigene Unzulänglichkeit gleich."
(Einerseits möchte ich diese Aussage unterstreichen, andererseits wehre ich mich dagegen, dass jemand wegen seiner "Unzulänglichkeit" in die Themse springen muss und dafür auch noch mit dem Attribut "plump" belegt wird.)

Lesbos 13/12 2021

Am Morgen wachte ich zum Plätschern des Regens auf. Machte mir Kaffee, schmierte mir Brote, packte eine Portion gesalzene Oliven in den Ruck...